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Berlin: Als es wurde, was es ist

Wie das Leben nach dem Krieg neu losging, zeigt die Ausstellung „Berlin kommt wieder“ im Landesarchiv: Trümmerfrauen, Schwarzmarkt – und ein entnazifizierter Furtwängler dirigierte die Philharmoniker

Die Geschichte ist so tragikomisch wie wahr, deshalb ist ihre Akte in diese sehenswerte Ausstellung über die Nachkriegsjahre 1945/46 geraten: Ein Mann, Paul Schröder aus der Christburger Straße 31, wird zu 60 Mark Strafe verurteilt. Was hat er getan? Um die Gunst von Schröders Tochter zu erwerben, erschien nach zuvor vergeblichen Werbeversuchen ein sowjetischer Oberleutnant am 14. 7. 1945 mit seinem Chauffeur und einem lebendigen Hammel in der Christburger vor Schröders Wohnung. Der schickt die Russen in den Keller, wo das Tier gemeuchelt und zerlegt wird. „Ich Dir geben Fleischtier, Du mir geben Dotschka“, mag der Sowjetmensch gesprochen haben, wir wissen nicht, wie der Hammelhandel ausging, nur so viel ist amtlich dokumentiert: „Durch die Annahme einer größeren Menge Fleisch hat sich Paul Schröder der Hehlerei schuldig gemacht“, fünf Kilo stehen im Protokoll, zehn Pfund Hammel für 60 Mark Buße – da ist der Herr Schröder noch ganz gut weggekommen, ein Kilo Schweinefleisch kostete damals auf dem Schwarzen Markt 300 Mark, legal gab es gerade mal 100 Gramm pro Tag für Schwerarbeiter und 40 Gramm für Angestellte.

Wer erfahren möchte, welche Themen vor nunmehr 60 Jahren im Nachkriegs-Berlin wichtig waren, wie die Berliner endlich im Frieden in ihrer Trümmerhauptstadt lebten und litten, der besuche die Ausstellung „Berlin kommt wieder“ im Landesarchiv am Eichborndamm. Vom Kriegsende im Mai 1945 bis zur Konstituierung der Stadtverordnetenversammlung im November 1946 gibt die Schau eindrucksvoller Bilder und einprägsamer Texte Einblicke in die Überlebensverhältnisse im Nachkriegs-Berlin und zeigt die Mühen der Berliner und der Sieger bei der Überwindung des Chaos. Mehrere Filme zeigen uns in der Endlosschleife die Heldinnen des Alltags, die Trümmerfrauen, wie sie in kilometerlangen Menschenketten für 72 Pfennige pro Stunde Eimer um Eimer voller Trümmerschutt weiterreichen und Steine klopfen, 75 Millionen Kubikmeter Schutt muss weggeräumt werden. Und die Männer? „In Gefangenschaft“, ist die Antwort. Bis August 1946 treffen 450 000 in Berlin ein, 123 000 bleiben in der Stadt.

Am 6. August 45 hatte die alliierte Kommandantur das Tragen der alten Wehrmachtsuniformen verboten, das Bezirksamt Tiergarten rät: „Zum mindesten müssen die Uniformen umgefärbt werden“, und der Magistrat bittet die Berliner flehentlich: „Gebt von Eurem Wenigen! Gebt, was ihr an Kleidung entbehren könnt! Gebt Lumpen und Altpapier! Spendet nach besten Kräften Geld!“

Selbstversorgung wird groß geschrieben, auch auf dem Schwarzmarkt, wo man jederzeit mit einer Razzia rechnen musste. Hier kostete ein Zwei-Pfund- Brot in Kilo Speck 1000 Mark. Zigaretten: 7 bis 13 Mark für eine „Lulle“, 475 Mark für einen Liter Schnaps. Bedrückend sind die Filmsequenzen der „Hamsterfahrten“: Auf den Trittbrettern und Puffern hoffnungslos überfüllter Dampfzüge fahren die Berliner ins Umland, in ihren Rucksäcken liegt der Familienschmuck neben Teppichen und Antiquitäten, bereit zum Tausch gegen ein bisschen Wurst, etwas Speck oder einige Eier vom Lande. In Berlin wurden grüne Reserven genutzt: Im Vorgarten der Universität, gegenüber der Staatsoper, grasen Kühe, vom abgeholzten Tiergarten werden auch noch die Stubben gerodet, und bei der Aktion „Wildgemüse“ erfahren die improvisationsbereiten Hausfrauen, was man mit Brennnessel, Gänseblümchen, Huflattich, Löwenzahn, Sauerampfer, Melde und Vogelmiere als Zusatznahrung anfangen kann. In einem der vielen Dokumente, mit denen Kurator Volker Viergutz und Adelbert Dreyer die Ausstellung bestückten, meldet der Magistrat das Eintreffen von 600 Zentnern Stroh zur Anfertigung von Strohschuhen für die Schüler – unzählige kleine Berliner konnten nicht zur Schule gehen, weil sie keine Schuhe an den Füßen hatten.

Die Ausstellung endet mit einem Blick auf die Theater- und Kleinkunstszene. Auch hier wird improvisiert, aber der neue, humanistische Geist ist aus den Kulissen der Verbannung hervorgetreten. Schillers „Parasit“ steht zur Wiedereröffnung des Deutschen Theaters am 26. Juni 45 auf dem Programm, am 10. Oktober spielt Paul Wegener den weisen Nathan, es gibt den „Fidelio“, die „Dreigroschenoper“ und den „Faust“ im Oktober im Jürgen-Fehling-Theater in Zehlendorf, Konrad Wagner spielt die Titelrolle, O.E. Hasse den Mephisto. Am 1. Mai 1947 steht Wilhelm Furtwängler wieder am Pult der Philharmoniker im Titaniapalast. Zwei Tage zuvor war der Dirigent entnazifiziert worden, die Akte dazu ist ebenso ausgestellt. Auch das Original-Notenblatt von jenem Couplet ist zu sehen, dessen Titelzeile der Ausstellung den Namen gab: „Berlin kommt wieder, das ist das Lied, das jeder singt!“ Das schmetterte Brigitte Mira am 1. Juni 1945 durchs Kabarett der Komiker. Der Foxtrott von Heino Gaze wurde zum Schlager jener Tage – Optimismus war ebenso wichtig wie Brot und Luft zum Atmen. „Wir haben zwar das originale Notenblatt mit einer Widmung des Komponisten für Brigitte Mira, aber was uns fehlt, ist eine Tonaufnahme jenes Liedes für diese Ausstellung“, sagt Kurator Volker Viergutz. Er hofft, dass ein Leser dieser Zeilen an seine Schallplattensammlung geht, die schwarze Scheibe findet – und Bescheid sagt. Vielleicht gibt es solch ein Wunder, wer weiß.

„Berlin kommt wieder“ im Landesarchiv am Eichborndamm 115 - 121 in Reinickendorf, Mo. und Fr. 9 bis 15 Uhr, Di. bis Do. 9 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

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