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Analoge Werbewelt, wie anno dazumal, erfunden von Meister Litfaß.

© epd

Als Reklame analog die Welt eroberte: Die Facebook-Säule

Ernst Litfaß war ein Pionier der Draußenwerbung. Eine Spurensuche zum 200. Geburtstag.

Das verschwiegenste Promigrab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof findet sich unter Parzelle 49, zentral postiert gegenüber der Kapelle James Turrells spektakulärer Licht-Installation. Ein aufwendig saniertes Gitter umgibt die karge Anlage. Den Zaun krönt lediglich eine schwarze Marmortafel mit Krickel-Signatur in vergoldeter altdeutscher Schreibschrift: „E. Litfasz“. Kein Spruch, keine Daten, kein Grün: Die Signatur ist die Person. Komplett abgedeckt wird die Ruhestätte des Mannes, den Nachgeborene als „Pionier der öffentlichen Kommunikation“ und „König der Reklame“ würdigten, durch zwei Betonplatten. Ein Bären- Ziegel des Senats verweist auf die Anerkennung als Ehrengrab 2001. Hans Wall hatte diesen Akt damals angeregt, sogar ein Litfaß-Museum plante er. Daraus sei nichts geworden: sagt Frauke Bank, Sprecherin der Wall AG, doch trage das Unternehmen nun die Kosten der Grabpflege. Die riesigen Betonplatten habe man seinerzeit so vorgefunden.

"Einer der ersten Werbeprofis in Deutschland"

Vor 200 Jahren wurde Ernst Theodor Amandus Litfaß in Berlin geboren. Wer er war, zeigt auch der seit 2011 nach ihm benannte Platz südlich des Hackeschen Marktes nur sehr pointiert. Die Werbeagentur Scholz & Friends, deren glänzend schwarzes Domizil den Ort dominiert, hat für ihre Adresse eine nachts erleuchtete, vier Meter hohe Betonsäule gestaltet, auf der in Gold-Lettern „Litfaß- Platz“ steht. Sonst nichts. Das Medium ist die Message, ein Litfaß-Platz ist ein Litfaß-Platz. Litfaß, erläutern die Geschäftsführer Stefan Wegener und Klaus Dittko, habe „das Facebook des 19. Jahrhunderts“ geschaffen, er sei „einer der ersten Werbeprofis in Deutschland“ gewesen. Jemand hat witzelnd auf den leeren Beton gekritzelt: „Hier könnte“ (... zum Beispiel Ihre Werbung stehen). Aber mehr steht eben einfach nicht da.

Selbst von der grünen Metallsäule mit Ornamentkrone, die in Wittenau vor dem Neubau der Ernst-Litfaß-Schule den Gehsteig ziert, ist Genaues über den Patron dieses „Oberstufenzentrums Druck und Medientechnik“ nicht zu erfahren. Immerhin laden dort auf der Säule Plakate, die in diversen Farben alte Litfaß-Säulen zeigen, mit Schlagworten wie „Genialität“, „Berufung“ und „Mottivation“ zum Tag der Offenen Tür ein. Die grüne Säule wurde 2015 von den „Draußenwerbern“ gesponsort. Demnächst, sagt Schulleiter Mike Förster, wolle man sie mit Info-Projekten bespielen und dabei auch die Geschichte des Schulpatrons einbeziehen.

Tatsächlich existiert jedoch schon seit 2006 in Mitte ein Litfaß-Denkmal in Berlin, das Details dieser Vita präsentiert: eine Bronze-Stele, deren Relief-Texte- und Bilder freilich nur von ganz nah zu erkennen sind. Dort wird sogar kulturhistorischer Kontext, die Genesis der Drucktechnik - von chinesischen Holztafeln (770 n. Chr.) bis zum Computersatz (1965) - skizziert, vor allem aber wird mit diesem Denkmal der authentische Ort Münzstraße 4 markiert: an dem Litfaß 1855 mit Tamtam und extra komponierter „Annoncir Polka“ seine allererste „Anoncier-Säule“ vorstellte. Die Idee dafür stammte wohl aus London; der Drang dazu kam aus dem Ordnungstrieb des patriotischen Bürgers, wildes Zettelkleben zu verbannen; das Monopol für die ersten 150 Säulen kam vom Polizeichef. Heute gibt es in Berlin rund 3000, bundesweit rund 50 000 Litfaß-Säulen.

"Unentwegt voranschreiten, alle Hindernisse zu überwinden wissen"

Ernst Theodor Amandus stammte aus einer jüdischen Druckerfamilie, die 1806 Bürgerrecht erhält, sein Vater stirbt kurz nach seiner Geburt. Er wird Schauspieler, Verleger, Impresario, Produzent, Wohltäter. Ein rastloses Lebensabenteuer. Sein unübersehbarer Reklame-Zylinder schafft kontrolliert- demokratische Treffpunkte – für alle, für die entstehende bürgerliche Öffentlichkeit. 58-jährig stirbt er in der Kur. Sein Biograf rühmt ihn als „einen von jenen Männern, die, ein höchstes Ziel vor Augen, unentwegt vorwärtsschreiten, alle Hindernisse zu überwinden wissen.“ Über der Adlerstraße, wo einmal sein Wohn- und Firmenhaus stand, erstreckt sich heute das Auswärtige Amt.

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