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Grünlich-gelb aufs Brot: Der erste, wichtige Eindruck beim Probieren Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Berlin: Als würde Gras direkt aus der Flasche sprießen

Gerade erst gepresst: Olivenöl aus neuer Ernte im vergleichenden Test unserer Probierrunde.

Lange genoss das Olivenöl kaum einen besseren Ruf als der Knoblauch. Noch Anfang der siebziger Jahre musste es sich quasi dafür entschuldigen, wenn sein Aroma über den eines populären wie neutralen Öls hinausging, in dessen Name wenigstens die Steinfrucht mitschwingt. Dass der Ruch des Penetranten inzwischen einer regelrechten Begeisterung Platz gemacht hat, stimmt ein wenig misstrauisch. Denn es könnte sich ja bloß um eine umgepolte Aversion handeln, die unter der Oberfläche weiterwuchert. Sie erklärte zumindest, warum jede Menge minderwertiges Baumöl gekauft und mit allen Anzeichen der Vorfreude über Salat, Nudeln und Fisch gekippt wird. Allerdings erschweren es der unübersichtliche Markt und das Blendwerk der Etiketten, sich verlässlich zu versorgen.

Dies ist die Stunde der Bürgen. Aus der Mitte der monatlichen Tafelrunde kommen es zwar durchaus brauchbare Hinweise, aber um ein Peloton bester Flaschen daraus aufzustellen, dafür reicht die Kompetenz dann doch nicht. Deshalb wurden bewährte Delikatessgeschäfte gebeten, ihre Favoriten aus der neuen Ernte einzureichen. Dann ging es in Markus Semmlers Wilmersdorfer Restaurant um sogenannte jungfräuliche Olivenöle, die man mit Freuden Freunden schenkt, schon, weil der Literpreis von 20 bis 50 Euro für den unbedachten Eigenverbrauch zu hoch ist. Weil alle Öle zu den Gewinnern zählten, stellt die Reihenfolge keine Rangliste dar – wohl aber eine Tendenz. Denn nur ganz wenigen Olivenexzerpten bleibt es vorbehalten, das kühle Gleichmaß des Ornaments, das so vielen Rezepten der feinen Küche zu Grunde liegt, aufzubrechen.

Maria Kanellopoulou verbürgt sich nicht nur deshalb für „Elia“ (Pikilia, Schöneberg, Goltzstr. 5), weil ihre Familie es in der Nähe von Kalamata mit einer Akribie herstellt, die auf dem südlichen Peleponnes nicht selbstverständlich ist. Auch wenn der Mittelgrund etwas unausgebaut wirkt, gibt er doch einen guten Trägerstoff ab für eine an Meerrettich erinnernde Schärfe und kantige Bitternoten. Elia sei sofort vorstellbar auf Tomate, sagte Semmler, und ein Fall für alle Fälle.

Goldhahn & Sampson (Prenzlauer Berg, Dunckerstr. 9) glaubt sich nicht gut genug bestückt mit „Ravidà Azienda Agricola“ . Die Befürchtung ist deshalb unberechtigt, weil das hellgelbe, leicht seifige Öl aus Sizilien die Feinstruktur der Olive veranschaulicht. Dieser Star der 80er defiliert nach dem Duft von Tomatenstrunk mit gemüsigen wie obstigen Anklängen förmlich vorüber, bis eine Art Radischärfe den Rachen ausfüllt wie der Zug aus einer filterlosen Gitane.

Die Nudelgöttin Mariella Gatta (Mani di fata, Charlottenburg, Leonhardtstr. 4) bleibt ihrer Heimat Apulien treu mit einem Bio-Olivenöl aus den Sorten Leccine und Coratine, die ein blondes Öl ergeben. Auch ein zurückhaltender Geruch, satter Fluss sowie ein mildes, fast süßes Aroma deuten auf späte Ernte – volle Reife also ohne bittere Konturlinie.„Antonelli da Agricultura Biologico Montefalco“ (Weinhandlung Garlipp, Mitte, Große Hamburger Str. 1) wurde vom Jurygastgeber als „Duftweltmeister“ bezeichnet. Dafür verantwortlich war der Eindruck, als würde Gras direkt aus der Flasche sprießen. Nicht ganz unerwartet zeigt sich Umbrien dann mit einer Schärfe, die beinahe zu Tränen rührt - im Grunde ein Gewürz.

Man kann sich gut vorstellen, dass Maître Philippe (Wilmersdorf, Emser Str. 42) Anklänge an Mandarine, Pinienkern, Rosenkohl und die Weite des Estragons in den ausgeprägt unreifen Aspekten des früh gepressten, reintönigen „Château d’Estoublon Béruguette“ ebenso schätzt wie Markus Semmler. Der Favorit von Berlins erstem Käsehändler ist dennoch das geschmeidige „Famille Perrin“ aus dem südlichen Rhonetal. Der Auftakt ist intensiv, als strömte Harzduft aus einem überhitzten Pinienhain, dann folgt unvermittelt ein volles, rundes, typisch mittelfruchtiges Aroma in seiner ganzen Fülle.

Holger Schwarz´ (Viniculture, Charlottenburg, Grolmanstr. 44/45) Hausmarke „Luigi Bellina Novo Nocellara & Biancolilla“ aus Bisacquino/Palermo gehört wegen gering ausgebildeter Pfeffrigkeit zu den Allroundern, die mit leicht zitronigem Touch schnell gefallen. Aber seine prickelnde Würze, die auf einen Gras- beziehungsweise Heuduft folgt, hebt Bellina weit über den Durchschnitt und lässt es ideal erscheinen zu roh mariniertem Fisch und Jacobsmuschel.

Obwohl Themistokles Panzianas Laden (Prenzlauer Berg, Senefelderstr. 4) auf renommierte Spitzenöle spezialisiert ist, würde er Freunden sein Familienerzeugnis „Kylinni“ ans Herz legen. Der von der Insel des Pelops stammende grün-goldene, sehr olivige Typ wurde vergangenen November gepflückt und gibt nach einer fast salzigen Eröffnung einen milchigen, an Cashew erinnernden Körper frei, dem ein Abgang von fast schmerzlichem Nachdruck folgt.

An Cristos Tziolis (Cava, Charlottenburg, Schustehrusstraße 20) Schützling, dem relativ dünn fließenden „Atrapos Extra natives Olivenöl kalt extrahiert/unfiltriert, Demeter“ aus Molos in Mittelgriechenland scheiden sich die Gaumen. Doch wen bitter-rauh-scharf nicht abschreckt, der wird mit floraler Frische belohnt sowie mit einem reichen aromatischen Spektrum, aus dem Artischocke und rote Bete hervorlugen. „Hat Charakter“, lobte der Meisterkoch.

Werner Blanck (Enoteca Blanck & Weber, Wilmersdorf, Ludwigkirchstr. 11) schätzt als leidenschaftlicher Hobbykoch die hohe Präsenz seines unter Sauerstoffabschluss extrahierten und abgefüllten „Frantoio Di Santa Téa Bio“ aus dem Florentinischen. Alles ist da im ersten Moment und treibt einander an: Das Grüne, das Mineralische, das Fruchtige, ja beinahe Süße und schließlich eine qualifizierte Bitterkeit, die den Gedanken auf Walnüsse bringt. Womöglich auch ein Blick in die Zukunft des Olivenöls.

Dan Zahareanu (La Cremerie, Charlottenburg, Windscheidstr. 22) ist stolz darauf, dass sein stoffig-trägfließendes „Domaine de l’Olivette D. Delmotte“ aus Roquebrune-sur-Argens sonst nur auf provenzalischen Bauernmärkten zu haben ist. Blüten- und Fruchtduft erobern die Nase sofort, dann folgen im Mund Assoziationen an Gemüse und Wurzeln, bevor eine Art Ingwerschärfe ohne grelle Bitterkeit die Wahrnehmung ganz in den Rachen verlagert. Semmler würde es zu rotem Fleisch einsetzen und als Widerpart von Knoblauch.

Karsten Kubin und Ruth Lindenblatt (Weingalerie, Charlottenburg, Pestalozzistraße 55) sind uneins; sie schwört auf „La Rosa Azeite Virgem Extra, Quinta de La Rosa“ aus dem Duorotal, er favorisiert „Romeu Azeite Extra Virgem Biológico, Soc. Clemente Menéres“, das ebenfalls aus dem Nordosten Portugals stammt. Beide sind spezielle Charaktere, die erfrischend in die Nase steigen und auf der Zunge leisen Tönen den Vorzug geben. Nur der anhaltend pfeffrige Nachgeschmack bringt zum Ausdruck, dass diese Sonderöle sich in jeder Speise zu behaupten gewillt sind. Die Runde neigte dem etwas exzentrischen La Rosa zu weil hier Kirsche, Nüsse und eine Prise Muskat in einen runden Körper wundervoll eingebunden sind. „Olive kommt super rüber“, sagte Semmler, packte die Flasche am Hals und ging in die Küche.

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