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Berlin: Als zusammenrückte, was nicht zusammen wollte

In Schleswig-Holstein steht sie bevor, Berlin hat sie schon hinter sich: Die Große Koalition. Die Zwangsehe war Folge des Mauerfalls

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Große Koalition in weite Ferne gerückt.“ Das waren die Schlagzeilen am 15. Februar 1989, als der Wahlverlierer Eberhard Diepgen den vergeblichen Versuch unternahm, mit der Berliner SPD über ein Regierungsbündnis zu verhandeln. Ernsthafte Gespräche seien nicht möglich, sagte der CDU-Landeschef damals. Diese Einschätzung war richtig. Die Sozialdemokraten hatten, nach acht harten Jahren in der Opposition, keine Lust auf ein Bündnis mit der Union. Und anders als heute in Schleswig-Holstein gab es ja eine rot-grüne Mehrheit.

Aber nicht lange. Der Mauerfall kam dazwischen, und die Koalition von SPD und Alternativer Liste zerbrach. Weniger an den großen Problemen der Einheit als an vielen kleinen, zermürbenden Konflikten, die vor allem im Osten Berlins keiner verstand. „Ökologischer Stadtumbau ist für uns ein Fremdwort, wir brauchen erst einmal Straßen“, schimpfte ein SPD-Parteitagsdelegierter aus Treptow. Und so kam es, wie es kommen musste: Drei Tage nach der vorgezogenen Abgeordnetenhauswahl am 2. Dezember 1990 nahm der abgewählte SPD-Spitzenkandidat Walter Momper das Angebot der CDU zu Koalitionsgesprächen an. Seine Partei könne sich „dem nicht verschließen“, schrieb er an den Wahlgewinner Diepgen.

Glühende Begeisterung sprach aus diesem Satz nicht. Es war die bittere Einsicht in eine politische Notwendigkeit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im Jahr der deutschen Vereinigung waren, gerade in Berlin, gewaltige Aufgaben zu meistern. Denn die Stadt wuchs nicht von allein zusammen, es war zu wenig Geld da und in Ost-Berlin zerbrach fast die gesamte Volkswirtschaft . Vergleichbare Lebensverhältnisse in Ost und West blieben vorerst ein schönes Ziel, fern jeder Realität. In dieser Sondersituation wurden Christ- und Sozialdemokraten von den Wählern geradezu verdonnert, eine Große Koalition zu schmieden.

Das war eine große Herausforderung. „Dieser Senat muss einer neuen Zeit gerecht werden, in der alte Maßstäbe nicht mehr gelten und lieb gewordene Gewohnheiten nicht mehr bestehen“, sagte der neu gewählte Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen in seiner Regierungserklärung am 7. Februar 1991. In dieser Lage sei eine Koalition aus CDU und SPD vernünftig. „Keine Liebesheirat“, wie der damalige CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky gegenüber der eigenen Parteibasis stets betonte. Zuvor hatte der SPD-Altlinke Harry Ristock prophezeit, dass mit dem schwarz-roten Regierungsbündnis die politische Kultur in Berlin „unter einer Schicht von Mehltau erstickt wird“.

Das politische Klima war also nicht gut, in dem die Große Koalition ein Jahrzehnt leben musste. Dabei waren es Herkulesaufgaben, die CDU und SPD gemeinsam zu stemmen hatten: Die Fusion mit Brandenburg, die Hauptstadtwerdung, die Olympiabewerbung, der Stadtumbau, die Angleichung der Gehälter im öffentlichen Dienst, die Haushaltspolitik, die Parlaments- und Verwaltungsreform, um nur einige Großprojekte zu nennen. Manches gelang, manches ging in die Hose. Viele Schlachten wurden gern auf Nebenkriegsschauplätzen ausgetragen; etwa der Streit um das Landesschulamt.

Während aber der Seniorpartner CDU von dem bis 2001 unangefochtenen Spitzenduo Diepgen und Landowsky geführt wurde, war der Kräfteverschleiß beim Juniorpartner SPD groß. Zum Beispiel warf der Landes- und Fraktionschef Ditmar Staffelt Mitte der neunziger Jahre das Handtuch, als die Abgeordnetenhausfraktion ihm die Gefolgschaft verweigerte. Staffelt wollte nach einer Affäre des Innensenators Dieter Heckelmann (CDU) aus der Koalition aussteigen und Neuwahlen erzwingen. Das klappte nicht. Bei der Wahl 1995 gingen die Sozialdemokraten mit der Sozialpolitikerin Ingrid Stahmer als Spitzenkandidatin unter. „SPD: Verenden durch Regieren?“, witzelte damals die linksalternative Taz.

Die SPD-Parteilinke tobte. Die CDU-Basis aber auch. Nur mit Mühe schworen sich beide Parteien noch einmal auf die Regierungsarbeit bis 1999 ein. Dominierendes Thema wurde die Sparpolitik, mit der sich die neue Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing nicht nur die Union, sondern auch eine starke Minderheit in der Landes-SPD zu Feinden machte. Über all dem Gezänk schwebte der populäre Landesvater Eberhard Diepgen, der den Koalitionspartner SPD 1999 mit einer formidablen Wahlkampagne überrannte. CDU: 40,8 Prozent; SPD: 22,4 Prozent. Als der Stadtentwicklungssenator Peter Strieder im selben Jahr SPD-Landeschef wurde, verfolgte er nur noch ein Ziel: Raus aus der Großen Koalition! 2001 machte der CDU-Parteispenden- und Bankenskandal den „Befreiungsschlag“ möglich.

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