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Berlin: Alte Kämpen

Berlins Schulpolitik ist billiger geworden: Weniger Lehrer arbeiten mehr. Neue, junge Kräfte werden nicht eingestellt, eher werden noch Stellen gespart

Die Sparpolitik der letzten Jahre ist an Berlins Lehrern nicht spurlos vorübergegangen. Die Verbitterung über die Heraufsetzung der Arbeitszeitverpflichtung ist so präsent wie am ersten Tag. „Das Gefühl der Überlastung ist massiv“, sagt Erhard Laube, Leiter der Schöneberger Spreewald-Schule. So massiv, „dass vernünftige Diskussionen über Reformen im Kollegium kaum mehr möglich sind“.

Die Schulen wurden von dieser Sparmaßnahme doppelt getroffen: Erstens, weil die Lehrer – je nach Schulform – eine halbe bis vier Stunden pro Woche mehr unterrichten müssen und weniger Zeit für andere Aufgaben haben. Zweitens, weil die Mehrarbeit die eigentlich geplanten Neueinstellungen junger Kollegen verhinderte. Dies traf die Kollegien zu einem Zeitpunkt, als das Durchschnittsalter der Berliner Lehrer die neue Höchstmarke von 49 Jahren erreichte.

Von Berlins knapp 30 000 Lehrern sind nur 65 unter 30 Jahren, aber 8000 älter als 55 Jahre und damit weniger belastbar und anfälliger für Langzeiterkrankungen. In dieser ungünstigen Konstellation – mit hohem Krankenstand und ohne junge Kräfte – müssen sie das große Nach-Pisa-Reformpaket bewältigen, das sie mit zentralen Prüfungen, Schulinspektionen, neuen Rahmenplänen und verstärkter Gremienarbeit konfrontiert. Für die Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld haben viele Lehrer allerdings nur noch ein müdes Lächeln übrig: „Das ist kein Thema mehr“, resümiert ein Reinickendorfer Schulleiter. Immerhin könnte es ab 2007 wieder mehr Einstellungen von jungen Lehrern geben.

Es sei denn, es käme jemand auf die Idee, weiter Stellen zu kürzen. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sieht offenbar noch Einsparpotenzial für die nächste Legislaturperiode. Argumentationshilfe holt er sich aus dem Personalvergleich der 16 Bundesländer: Die Statistiken zeigen, dass Berlin 17 Prozent mehr Lehrer hat als bundesweit üblich. Anders ausgedrückt: Rein rechnerisch kommt in Berlin ein Pädagoge auf 13,7 Schüler, in Hessen einer auf 17,3 Schüler. Trotzdem haben die Berliner kaum mehr Unterricht und zeigen keine besseren Leistungen. Sarrazin weiß, wo das Personal bleibt: Zum einen geht die Schülerzahl im Ostteil stark zurück. Die Folge sind – wie in Sachsen oder Thüringen – personalintensivere kleinere Klassen. Zum anderen steckt Berlin mehr Geld in den so genannten Teilungsunterricht und in die Integration von 6150 behinderten Kindern. Allein die Behindertenintegration kostet 1200 Lehrerstellen. Alarmierend ist, dass dennoch die Sonderschulen nicht kleiner geworden sind. Als Erklärung wird gern darauf verwiesen, dass es wegen der sozialen Probleme mehr Kinder mit Sonderförderungsbedarf gibt als früher. Das allein reicht aber als Erklärung nicht aus: Fachleute schätzen, dass überdies rund 3000 Kinder, die nicht behindert sind, sondern lediglich schwierig, nur deshalb das Etikett „behindert“ erhalten, damit die Schulen mehr Personal beantragen können.

Besonders kostenintensiv ist es, die Schwerstbehinderten in den normalen Schulbetrieb einzugliedern. 23 sind es zurzeit. Jeder bekommt eine volle Fachkraft zugewiesen, in der Sonderschule ist eine Kraft für zwei Kinder zuständig. Sarrazin meint, dass bei der Integration nicht nur viel Geld zusätzlich ausgegeben wird, sondern dass manche Kinder in den Sonderschulen sogar besser gefördert werden könnten.

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) betont hingegen, er sei stolz darauf, dass Berlin bei der Behindertenintegration einen Spitzenplatz einnimmt. Auch vom Teilungsunterricht will er nichts hergeben: Mit 30 Kindern könne man keine naturwissenschaftlichen Experimente machen. Und die Grundschulklassen mit den Sprach- und Verhaltensproblemen müsse man auch teilen können. „Wenn alle Ressorts und die Eigenbetriebe so viele Reformen durchgeführt hätten wie wir und auch mehr arbeiten müssten bei weniger Geld, dann wäre diese Stadt auf dem Tigersprung und die BVG schriebe schwarze Zahlen“, sagt Böger.

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