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© Uwe Steinert

Alte Lamellen: Abschied vom Kaufhaus Wertheim

Am Freitag öffnete das Kaufhaus Wertheim in Steglitz zum letzten Mal. Jetzt ist der Name für immer verschwunden.

„Tschüss, altes Haus!“ haben sie auf die Plakate geschrieben, die in jedem Schaufenster hängen. „Satte Rabatte“ werden versprochen, Dankbarkeit für jahrelange Treue senkt das, was noch da ist, um bis zu 70 Prozent. Draußen, neben dem seltsamen Bierpinsel, beleben die blauen Fahnen mit dem einen Wort und Begriff „Wertheim“ die graue Lamellenfassade, aber am Abend des 27. März werden die Fahnen eingeholt und die Rabatte sattgegessen sein.

Das Kaufhaus Wertheim in der Steglitzer Schloßstraße schließt für immer, und damit erlischt der Markenname, der an dieser Stelle nahezu ein Menschenleben lang Bestand hatte: Ernst Reuter, das Stadtoberhaupt, war 1952 zur Eröffnung gekommen. Am gestrigen Freitag, am letzten Tag, kamen nur noch jene, die sich durch die wenigen Bestände der Resterampe wühlten. „Veronas dream“, eine Vitaldeo-Cream, hatte auch schon bessere Tage gesehen, hier liegt der Traum auf einem Haufen für Zweifünfundneunzig, die Damen an der Kasse bedienen emsig, Jeans und Röcke verschwinden in den Taschen, die meisten Regale sind längst leer oder abgebaut, rot-weiße Flatterbänder markieren den letzten Gang. Der Feinkostmarkt ist auch am Tag finaler Genüsse gut bestückt, doch am 2. April wird es Begrüßungs-Schampus im neuen Genießertempel auf der anderen Straßenseite geben. Einer Verkäuferin liegen die Nerven blank: „Ick jebe keen Interview“, sagt sie, eine andere stöhnt: „Abschied ist immer schwer, aber wir machen ja da drüben weiter“.

Damit meint sie den Karstadt-Neubau auf der anderen Seite der Treitschkestraße. Viel Glas, weißer Naturstein, am 2. April um neun Uhr darf begutachtet werden, wie sich die schöne neue Warenwelt mit anderem Namen präsentiert. „Wir müssen uns sicher erst daran gewöhnen“, sagt eine Reisebüro-Kauffrau, dreizehn Jahre lang war sie eine Wertheimerin, kennt in diesem Haus viele liebe Kolleginnen und nahezu jedes volle Regal, „der Abschied tut schon ein bisschen weh“, bekennt die künftige Karstädterin und hofft, dass die Kunden bei der Stange bleiben. Als Dank für lange Treue stellt die Frau hinter der Café-Bar einem Ehepaar ein paar belegte Brötchen zum Bierchen auf den Tisch, „ein Trauerspiel“, sagt der Stammgast, um sich sogleich mit der Zukunft zu trösten: „Die Fassade soll ja erhalten bleiben, dahinter wird alles entkernt, und so entsteht eine regelrechte kleine Einkaufsstadt, mit Karstadt durch eine Passage verbunden. Eigentlich kann die Straße nur gewinnen. Ein Einkaufsboulevard erster Güte“. Und gerade darum ist eine alte Steglitzerin skeptisch: „Mir tut es leid, damit verschwinden hier die fünfziger Jahre, ein altes, traditionelles Kaufhaus, ein Stück Heimat“. Und ein bekannter Name. „Wertheim war ein Begriff, aber Karstadt ist es ja auch“. Tröstlich.

Ab 2. April gibt es „Mehr Mode, Mehr Marken, Mehr Trend“. Sagen sie. Das Neue kommt, außen wie innen, Namen sind Schall und Rauch.

Im Tagesspiegel-Magazin „Sonntag“ können Sie morgen noch mehr über die bewegte Wertheim-Geschichte und die Menschen hinter dem Namen lesen

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