zum Hauptinhalt
Da steppt der Berliner Bär: Volkstanzkurs in der Kurt-Schwitters-Oberschule.

© Thilo Rückeis

Alte Schule: In Prenzlauer Berg werden Berliner Volkstänze geprobt

Volkstanz stirbt aus. Einige wenige Gruppen lernen noch gemeinsam Kreis- und Achtpaartänze. Ein Besuch.

Polkamusik ertönt aus den Lautsprechern, die auf einem kleinen Tisch stehen. Alles hier mutet an wie aus einer anderen Zeit. Auch die Tanzschüler, die auf den Turnbänken sitzen, sind ältere Semester. Sie schauen dem Rest der Gruppe zu, der sich jetzt im Kreis aufstellt, an den Händen fasst. Keine Meditationsübung – hier werden Volkstänze geübt.

Salsa, Tango, Standard- oder Lateintänze, Breakdance, Ecstatic Dance, Tribal Dance oder neuerdings Voguing sind mehr oder weniger im Trend. Aber traditioneller deutscher Volkstanz? „Es gibt nur noch rund eine Handvoll Tanzkreise, die das anbieten“, sagt Claudia Schier. Mit ihrem Mann Oliver leitet sie den „Berliner Volkstanzkreis“ in Prenzlauer Berg. Gegründet 1849, zählt er heute rund 40 Mitglieder und ist damit der mit Abstand größte seiner Art in Berlin. Andere Clubs haben oft nur ein Dutzend Tänzer und Tänzerinnen.

Die Schüler der Schiers kommen sogar aus Potsdam oder Panketal zum Training in die Turnhalle der Kurt-Schwiters-Oberschule im Bötzowkiez. „Wir möchten gerne diese Lebensfreude rüberbringen, die das Tanzen vermittelt, und auch den Spaß an der Gemeinschaft“, sagt das Paar. Sie wissen, dass das, was sie tun, kaum noch jemand kann.

Zu Beginn der Stunde bilden alle Teilnehmer einen großen Kreis, fassen sich an den Händen, dann geht es rechts herum, links herum, wieder rechts herum. Abwechselnd werden Arme in die Luft gestreckt. Manchmal tanzen die Paare nebeneinander, manchmal schlüpfen Tänzer unter den ausgebreiteten Armen der anderen hindurch. Viele Lieder haben ausgefeilte Choreografien, die erst nach monatelanger Übung richtig sitzen.

Manche ziehen sich schick an, tragen den guten Schmuck

Ihre Titel heißen „Handquadrille“, „Lüllauer Schlange“, „Der Gimpel“ oder „Rehlinger Polka“, sie werden zu viert, zu acht, paarweise oder im Kreis getanzt. „Mehr als zwei Drittel unserer Tänze sind deutsche“, sagt Claudia Schier. Sie selbst ist Anfang 50, die meisten Leute in der Runde sind zwischen 60 und 90 Jahren alt, viele sind schon lange dabei. Besonders für die, die allein leben, ist der Tanzkurs ein wichtiger Termin. Mache ziehen sich schick an, tragen ihren guten Schmuck und spezielle Tanzschuhe.

In Berlin wird der deutsche Volkstanz kaum noch praktiziert. Für die Teilnehmer gehört das Training aber fest zum Alltag.
In Berlin wird der deutsche Volkstanz kaum noch praktiziert. Für die Teilnehmer gehört das Training aber fest zum Alltag.

© Thilo Rückeis

Ingeborg Knorr, Mitte 90, ist jede Woche dabei. „Leider kann ich nur noch die einfachen Sachen mitmachen, wegen der Gesundheit.“ Die Dame mit dem weißen Haar hat früher im Lohnbüro gearbeitet, Maschinenbuchhaltung, jetzt befolgt sie die Anweisungen des Ehepaars Schier. „Vier Schritt in Tanzrichtung, vier Schritt gegen. Wechselschritt – und drehen!“

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Zuletzt gab es einige Neuzugänge von jüngeren Tänzern für den Tanzkreis. „Jünger“ heißt hier: Etwa so alt wie Claudia Schier. Für viele Schüler ist die wöchentliche Einheit wichtig, um in Form zu bleiben. Daneben gibt es auch den kulturellen Wert: Die deutsche Volkstanzbewegung steht auf der Liste des immateriellen Kulturerbes in Deutschland.

In Berlin haben es die Volkstänzer trotzdem schwer: während in Bayern etwa der Volkstanz und die „Musi“ in vielen Dörfern fest verankert sind, sogar von der Landesregierung gefördert werden, fristet diese Tradition in Berlin ein kümmerliches Dasein – vielleicht, weil sich traditionelle Volkstänze in der Stadt kaum entwickeln konnten. „Das liegt daran, dass Berlin schon immer eine internationale Stadt mit vielen Zuwanderern war“, erklärt Schier.

Immerhin: In den 1920er Jahren entstanden in Berlin einige Volkstänze, etwa die Russenpolka, die Steglitzer Mazurka oder das Große Triolett. Über die kleine Berliner Volkstanzgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg hat Schier ihre Abschlussarbeit zur Tanzleiterausbildung geschrieben.

Russenpolka, Steglitzer Mazurka oder das Große Triolett?
Russenpolka, Steglitzer Mazurka oder das Große Triolett?

© Thilo Rückeis

Volkstanz auch an der Waldorfschule

Mit ihrem Verein veranstaltet sie heute zweimal im Jahr Tanzfeste mit Live-Musik von den „Havelperlen“: Akkordeon, Flöte, Geige, Cajon und Waschbrett. 2011 tanzte die Gruppe beim World Culture Festival im Olympiastation, 2013 auf dem Folklorefestival in Prag. Im vergangenen Jahr rief eine Mahlsdorfer Waldorfschule, die Schule am Elsengrund, bei Claudia Schier an: Man suche eine Lehrerin für Volkstanz. Schier gab eine Probestunde, und die Kinder, 2. bis 9. Klasse, waren begeistert. Seitdem unterrichtet sie dort regelmäßig.

Am Rande der Trainingsstunde erzählt Schier, dass die deutsche Volkstanzszene in der letzten Zeit mit einem neuen Übel kämpft: Rechte Gruppierungen versuchen, sich in den Vereinen einzunisten. Auch beim Berliner Volkstanzkreis habe es einmal solche Besucher gegeben, die zu einer Probestunde gekommen waren. Schier wollte sie loswerden: „An diesem Tag habe ich extra viele Lieder aus dem Ausland gespielt.“ Die Aspiranten kamen nie wieder.

Der Berliner Volkstanzkreis trifft sich (außer in den Ferien) jeden Montag um 18 Uhr zum Training in der Turnhalle der Kurt-Schwitters-Oberschule, Bötzowstraße 11. Mehr Infos unter www.berliner-volkstanzkreis.de.

Dirk Engelhardt

Zur Startseite