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Berlin: Am 29. Oktober 1949 wurde der Sportverband Groß-Berlin gegründet. Heute sind eine halbe Million Menschen in 2000 Vereinen engagiert

Stadien und Hallen lagen in Trümmern, als Heinz Henschel nach dem Krieg anfing, "Spieler einzusammeln" für den Neuaufbau. 1943 und 1944 war er mit Rot-Weiß Berlin Deutscher Vizemeister im Eishockey geworden, nun wurden Vereine und Verbände von den Alliierten verboten.

Stadien und Hallen lagen in Trümmern, als Heinz Henschel nach dem Krieg anfing, "Spieler einzusammeln" für den Neuaufbau. 1943 und 1944 war er mit Rot-Weiß Berlin Deutscher Vizemeister im Eishockey geworden, nun wurden Vereine und Verbände von den Alliierten verboten. An ihre Stelle traten kommunale Sportgruppen, wie Henschels Sportgruppe Eichkamp. Die Bezirksämter kontrollierten die Gruppen, die Aktiven konnten bis auf wenige Ausnahmen nur in ihren Wohnbezirken trainieren und Wettkämpfe bestreiten. Dennoch engagierten sich im Oktober 1945 bereits 25 000 Berliner in Sportgruppen. Der Sport war wie eine Befreiung, auch wenn oft mit Büchsen statt mit Bällen gespielt wurde. Als Siegprämie gab es einen Sack Kartoffeln, Jugendliche bestaunten ausgefranste Boxhandschuhe wie ein Weltwunder.

Im Frühjahr 1948 erhielten in den westlichen Sektoren die ersten 63 Vereine ihre Zulassung, doch es dauerte bis 1949, ehe der kommunale Sport beendet wurde. Henschel war damals erleichtert: " Wir wollten uns nicht von den Behörden gängeln lassen, wir wollten freien Sport." Am 29. Oktober 1949 wurde der Sportverband Groß-Berlin gegründet, der heutige Landessportbund (LSB). Der damalige Sportoffizier der Britischen Militärregierung, Michael Berensen, betonte die erzieherische Aufgabe des Sports. Morgen feiert der LSB sein 50-jähriges Bestehen.

Gerhard Schlegel wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt, Heinz Henschel zum Kassenwart. "Es war eine Riesensache, dass der Sportverband überhaupt ins Leben gerufen wurde", sagt der heute 79-Jährige. Henschel, der später 40 Jahre dem Vorstand des deutschen Eishockey-Bundes angehörte, war ein typischer Pionier der damaligen Zeit: "Ich war Spieler, der Sportpalast war kaputt, es musste etwas geschehen." Also zögerte der junge Mann nicht lange und beschloss, weil er gleichzeitig auch Banker war, mit seiner Henschel-Bank den Sportpalast wieder aufzubauen. Weil so viele Sportanlagen zerstört waren, aber wenig Geld da war, mussten Prioritäten gesetzt werden, "am einfachsten war es mit den Fußballplätzen, das konnte man mit dem Rasenmäher machen", erzählt Henschel schmunzelnd.

Als die Hallen wieder standen und sich die Wettkampfstrukturen gefestigt hatten, kamen neue Aufgaben und Sportarten auf den Sportbund zu. Aus den USA rollte die Aerobic-Welle heran, "flotte Instruktorinnen im Neondress aktivierten Hundertschaften bisher eher unsportlicher Damen", heißt es in der Festschrift. Die Vereine nahmen in der Gesundheitvorsorge eine führende Rolle ein. Die Sportjugend, heute die größte Jugendorganisation Berlins, leistete neben dem Sport Sozialarbeit, band Ausländer, Aussiedler, Behinderte und Straffällige in ihre Programme ein. Heute hat der LSB über eine halbe Million Mitglieder in rund zweitausend Vereinen. Etwa jeder fünfte West-Berliner, aber nur jeder zehnte Ost-Berliner ist in einem Sportverein organisiert. Deswegen ist die Förderung im Ostteil auch eines der Ziele für die nächsten Jahre.

"Wir wünschen uns Sanierungsmittel vom Senat für Sportstätten im Osten, aber auch im Westen", sagt der LSB-Vorsitzende Manfred von Richthofen. Im Blickpunkt sollen unter dem Motto "Kleine kommen ganz groß raus" Vorschulkinder stehen, die wegen falscher Ernährung und fehlender Bewegung oft alles andere als fit sind. In Berlin gibt es 28 Landesleistungszentren und eine ewig lange Reihe von Olympiasiegern, von Boxer Wolfgang Behrendt (1956) bis Eisschnelläuferin Claudia Pechstein (1998). Doch neben den Medienstars wirken im Hintergrund 40 000 "stille Stars": Ehrenamtliche, die Geräte aufbauen, Trikots waschen oder an der Kasse sitzen. Deshalb werden seit Anfang des Jahres monatlich fünf Ehrenamtliche geehrt. Im Oktober war eine davon Dorothea Barczewski vom Charlottenburger Turn- und Sportverein 1858. Seit 50 Jahren ist die 72-jährige Kassenwartin in der Frauenabteilung und turnt und schwimmt auch selbst noch dreimal pro Woche: "Wenn das aufhört, dann ist es vorbei." Mit ein bisschen Wehmut denkt sie an die Zeiten zurück, wo die Sportler sich zu Bällen trafen und gemeinsam in den Mai tanzten. Heutzutage gehe jeder nach dem Training nach Hause, in sein Häuschen und seinen Garten. Früher "lieferten die Mitglieder monatlich beim Turnen ihre 1, 25 Mark ab, jetzt geht viel mit Überweisungen", erzählt sie. Eines allerdings hat sich nicht geändert. Faulen und vergesslichen Mitgliedern und deren Beiträgen hinterherrennen muss sie immer noch.

Helen Ruwald

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