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Berlin: Am „Boxi“ ließ die Polizei nichts anbrennen

Fliegende Becher, Parolen gegen den Staat – mehr war nicht drin in der Walpurgisnacht. Die Beamten hatten die Demoszene im Griff

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Unglaublich, wie viele Punks es noch gibt. Hunderte haben sich in der Walpurgisnacht am Boxhagener Platz versammelt, bunte Irokesenkämme stehen, mehr als 20 Zentimeter lang, von den Schädeln ab. Ein bizarres Retro-Erlebnis: Viele Punks laufen in nietenübersäten Lederjacken herum. An freie Stellen sind Badges mit den Namen längst verblichener Bands wie den „Dead Kennedys“ geheftet. Auf angebügelten Stofffetzen Uraltparolen wie „Deutschland verrecke“. Alles ganz wie zu Anfang der achtziger Jahre.

An der Ecke Grünberger / Gabriel-Max-Straße schrammelt eine Band von der Ladefläche eines Lkws Drei-Akkorde-Quickies, dazwischen pöbelt der Sänger mit englischem Akzent gegen „Zivibullen“. Die Polizisten, die in der Nähe stehen, schauen gelangweilt. Bis 22 Uhr bleibt es bei Grölerei und Suff. Getrunken wird fast nur aus Plastikbechern. Die Polizisten kontrollieren an den Zugängen zum „Boxi“ jeden Menschen, Bierflaschen befördern sie ohne Erbarmen in bereitstehende Müllcontainer. Die Beamten haben die Lage im Griff.

Doch gegen 22 Uhr beendet die Punkband ihr Straßenkonzert. Und aus Kreuzberg ist die Demo der radikalen Linken angekommen. Angeführt von der Splittergruppe „Theorie. Organisation. Praxis“ sind etwa 600 Schwarzjacken vom Heinrichplatz herübergekommen, berieselt von theorieschweren Lautsprecherdurchsagen. „Es wäre falsch, unmittelbare Gewalt als das authentische Wesen des Kapitalismus zu begreifen“, predigt eine Frauenstimme, die in der Folge auch den G-8-Gipfel in Heiligendamm, die NPD und das Thema Gammelfleisch seziert.

Auf der Oberbaumbrücke stoppt die Polizei den Zug. „Den Staat abschießen“, heißt es auf einem Transparent, garniert ist das mit einer Zwille, die auf den Bundesadler zielt. Strafbar, urteilt die Polizei und greift sich das Banner aus der Menge. Das stiftet natürlich Unfrieden, die üblichen Ritualrufe „Haut ab“ und „Bullenschweine“ ertönen, die üblichen Rangeleien zwischen Kapuzenshirt- und Helmträgern beginnen. Als die Linken dann am „Boxi“ eintreffen und Punks und Gaffer ohne Musik auskommen müssen, wird die Stimmung in der Masse unterbeschäftigter Walpurgisrebellen kritisch. Prompt fliegen halbvolle Bierbecher auf Polizisten. Doch die Polizei lässt nichts anbrennen. Trupps von zehn, zwölf behelmten Kampfuniformen teilen die Menge und greifen sich Randalierer heraus. Reichlich Geschrei, heftig wippende Irokesenkämme. Doch die große Randale gelingt nicht. Angesichts der vielen Greifeinheiten der Polizei kann die Meute keine Front aufbauen, außerdem mangelt es an Wurfgeschossen. Mit Plastikbechern ist die Polizei nicht zu erschrecken. Nur ab und zu fliegen Bierflaschen, die auf den Boxi geschmuggelt werden konnten, außerdem ein paar wenige Pflastersteine. So geht es stundenlang hin und her, nicht einmal die Kälte knapp über dem Gefrierpunkt vertreibt Randalierer. Insgesamt werden 119 Menschen festgenommen.

Etwa zehnmal startet die Polizei eine Lautsprecherdurchsage: „Gehen Sie bitte nach Hause. Hier gibt es nichts mehr zu sehen. Sie geben möglichen Unruhestiftern eine Deckung. Wir wünschen Ihnen einen schönen Abend.“ Die größtenteils stark alkoholisierte Menge johlt jedesmal, nur zögernd wandern Grüppchen ab, viele darunter, die Englisch, Spanisch und Italienisch sprechen. Erst um zwei Uhr räumt die Polizei die verbliebenen Punks und Revolutionäre von der Straße.

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