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Berlin: Am Rand der Spaltung

In der Jüdischen Gemeinde vertiefen sich die Gräben zwischen angestammten Berlinern und den russischen Einwanderern

Eleonora Shakhnikova hat nicht viel Zeit. Sie arbeitet im Integrationsbüro der jüdischen Gemeinde und versucht gerade, 420 Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion Jobs zu vermitteln. „Es ist sehr schwierig“, sagt sie. Viele Zuwanderer hätten Hochschulabschlüsse, die aber nicht anerkannt würden, nur wenige könnten Deutsch.

Solche Menschen werden es künftig schwer haben, nach Deutschland zu kommen. Vor zwei Wochen haben sich die Innenminister der Länder zusammen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland geeinigt, dass jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in der Lage sein müssen, für ihren Lebensunterhalt in Deutschland selbst zu sorgen. Nur dann dürfen sie einreisen. Außerdem müssen sie über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügen, und es muss die Möglichkeit zur Aufnahme in eine jüdische Gemeinde bestehen.

Zentralratspräsident Paul Spiegel bezeichnete den Beschluss der Innenministerkonferenz als „fairen Kompromiss“. Für Albert Meyer, den Vorsitzenden der Berliner Gemeinde, ist es eine „Minimallösung“: besser als gar keine rechtliche Regelung. Die russischen Zuwanderer seien „überlebensnotwendig“ für die Gemeinde, jetzt erwarte er einen „dramatischen Rückgang“. Arkadi Schneiderman, Meyers Stellvertreter und Vertreter der russischen Fraktion in der Gemeinde, hält die Vereinbarung für „skandalös“.

Hinter vorgehaltener Hand ist mancher der alteingesessenen Berliner Juden froh, dass die neuen Regelungen die Zuwanderung begrenzen könnten. Denn von den 12 000 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde sind jetzt schon zwei Drittel Zuwanderer. Schätzungsweise 40 Prozent von ihnen leben von staatlicher Unterstützung. Von Integration kann keine Rede sein. Vielmehr spitzt sich seit Monaten der Kampf zwischen den Alteingesessenen um den Gemeindevorsitzenden und Charlottenburger Anwalt Albert Meyer und den russischen Zuwanderern um Arkadi Schneiderman zu.

Bei den Wahlen zum Gemeindeparlament vor gut einem Jahr sind beide mit der Kadima- Liste angetreten und haben haushoch gewonnen. Heute sind sie erbitterte Feinde. Ihr Kampf hat dazu geführt, dass das Gemeindeparlament faktisch außer Kraft gesetzt ist, die Sitzungen endeten in den vergangenen Monaten regelmäßig im Eklat. Man wirft sich gegenseitig Vetternwirtschaft und undemokratisches Handeln vor.

Vom „Homo sowjeticus“ ist in Richtung russische Fraktion die Rede. Die Russen hätten eine andere Mentalität, seien nicht an demokratische Strukturen gewöhnt. Eine der vielen Possen: Petr Feldman, ein russischsprachiges Mitglied des Gemeindeparlaments hat zugegeben, er sei von Schneiderman gebeten worden, einen früheren KGB-Mitarbeiter mit Nachforschungen über die jüdische Identität der Gemeindesekretärin zu betrauen. Schneiderman, der bis vor wenigen Monaten auch Personaldezernent der Gemeinde war, verdächtigt sie, sich ihre Mitgliedschaft in der Gemeinde erschlichen zu haben. Nun hat Schneiderman einen Anwalt beauftragt, der wiederum Feldman wegen Diffamierung verklagen soll.

Unterdessen hat der Gemeindevorstand beim früheren Präsidenten des Berliner Verfassungsgerichtes ein Gutachten in Auftrag gegeben, das prüfen sollte, ob Schneidermann sich wegen Amtsmissbrauchs und Verstoßes gegen den Datenschutz strafbar gemacht hat, als er im Zuge seiner Recherchen Personalien der Gemeindesekretärin weitergegeben hat. Der Gutachter kommt zum Ergebnis, dass Schneidermann sich Daten „in Überschreitung seiner Kompetenzen“ besorgt hat, sich aber nicht strafbar gemacht habe. Denn Religionsgemeinschaften unterliegen nicht den öffentlichen Datenschutzgesetzen. Nach diesem Gutachten ist nun fraglich, ob Schneidermanns Absetzung als Personaldezernent legitim war

Schneiderman wirft Meyer vor, nur auf Empfängen rumzustehen und nichts für russische Zuwanderer zu tun, die in der Gemeinde als „Juden zweiter Klasse“ diffamiert würden. Dass im Integrationsbüro nur zwei Leute arbeiten, sei zu wenig. Da müsse umgesteuert werden.

Das wäre ein gutes Sachthema für eine Tagung des Parlaments, sagt Meyer. Allein die Sachthemen, die dort – zumeist von Meyer – angestoßen wurden, gingen im vergangenen halben Jahr unter in persönlichen Anschuldigungen. Dem Vorwurf der Untätigkeit begegnet der Gemeindevorsitzende, indem er auf seine Tätigkeitsberichte verweist. Der von Juni umfasst 22 Seiten. Neben vielen Empfängen hat er unter anderem mit Innensenator Ehrhart Körting über Zuwanderung verhandelt, mit Vivantes über ein jüdischen Pflegeheim und mit dem Senat über die Erhöhung der Zuschüsse.

Mehrfach sei er von besorgten Politikern auf die Zustände in der Gemeinde angesprochen worden, schreibt Meyer. Die Gerüchte über eine mögliche Spaltung würden auch die Verhandlungen über die Zuschüsse gefährden.

Gäbe es Neuwahlen, wäre die Spaltung der Einheitsgemeinde nicht mehr auszuschließen. Die Rufe nach Auflösung des Parlaments und Neuwahlen werden immer lauter. Die Gemeindeältesten sind entsetzt über den „desolaten Zustand“ der Gemeinde und sind für Neuwahlen. Auch Schneiderman will sie. „Ich hänge nicht an diesem Amt“, hat Meyer in den vergangenen Monaten immer wieder öffentlich erklärt. Arkadi Schneiderman, 70 Jahre alt und seit 1975 in Deutschland, will ihn nicht beerben. Er spricht nicht akzentfrei deutsch und öffentliche Auftritte liegen ihm nicht, sagt er selbstkritisch. Gleichwohl gibt es Zuwanderer, die bei der nächsten Wahl mit einer eigenen russischen Gruppierung antreten wollen. Noch suche man aber nach der geeigneten Führungspersönlichkeit, heißt es.

Die könnte der jüdische Verleger Nicolas Werner sein. Der 36-jährige deutschstämmige Russe gibt unter anderem den „Europa-Express“ heraus, die auflagenstärkste russischsprachige Zeitung Deutschlands, und die „Jüdische Zeitung“. Dem jüdischen Unternehmer werden von mehreren Seiten in der Gemeinde politische Ambitionen nachgesagt. Bei der letzten Wahl haben seine Zeitungen die Liste Kadima unterstützt, mit der Russen und Alteingesessene noch einmal gemeinsam angetreten waren. Offiziell bestreitet Werner, dass er eine eigene Partei gründen will. „Bisher hatte ich so ein Ziel nicht.“

„Wir Alteingesessenen sind ein Auslaufmodell“, sagt Meyer. „Die Russen übernehmen Macht.“ Das Interesse am deutschen Judentum sei mittlerweile innerhalb der Gemeinde geringer als im Rest der Gesellschaft.

„Wäre es so schlimm, wenn man über ein neues Modell statt der Einheitsgemeinde nachdenkt ?“, fragt Irene Runge, die den unabhängigen Jüdischen Kulturverein leitet und sozusagen von außen auf die Gemeinde blickt. Man müsse sich überlegen, wie man auch die Juden an die Gemeinde bindet, die sich nicht als religiös verstehen, aber sich für die jüdische Kultur interessieren. Es gebe so viele junge Juden hier in Berlin, schwärmt sie, aus Amerika, England, Frankreich, für die müsse man zusätzlich zu den Synagogen ein Kulturzentrum gründen oder Clubs. So könne man neues Leben in die Gemeinde bringen.

Von der momentanen Stagnation jedenfalls profitieren orthodoxe Einrichtungen wie Chabad Lubawitsch. Die international agierende Organisation zieht auch in Berlin immer mehr Juden an, vergangenes Jahr hat sie ein neues Gemeindezentrum eingeweiht, im September soll eine neue Grundschule eröffnet werden – „hier wird es zu einer Konkurrenzsituation mit der Gemeinde kommen“, schreibt Meyer in seinem Tätigkeitsbericht von Mai dezent.

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