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Berlin: Am Sonntag öffnet die eindrucksvolle Funkstation Nauen ihre Pforten. Der Muthesius-Bau blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück

Der Besuch in der Großfunkstelle Nauen muss in den zwanziger Jahren wie eine festliche Inszenierung abgelaufen sein. Da läuft oder fährt der Gast eine ganze Weile auf den wuchtigen dunklen Klinkerbau zu, betritt ehrfurchtsvoll die Stufen, öffnet die Tür - und steht plötzlich im Dunkeln.

Der Besuch in der Großfunkstelle Nauen muss in den zwanziger Jahren wie eine festliche Inszenierung abgelaufen sein. Da läuft oder fährt der Gast eine ganze Weile auf den wuchtigen dunklen Klinkerbau zu, betritt ehrfurchtsvoll die Stufen, öffnet die Tür - und steht plötzlich im Dunkeln. Erst nach einer Weile wird jeweils rechts und links ein matter Lichtschein deutlich, der den Fremden auf einer geschwungenen Treppe fast automatisch in die erste Etage führt. Dort steht er zunächst in einem kathedralenartigen Vortragssaal, an dessen Stirnseite sich im Unterschied zu heute ein großer Vorhang befand. Wenn der sich auf das Zeichen des Chefs hin lüftete, stellte sich die gewünschte Verblüffung des Publikums ganz automatisch ein. Der Blick öffnete sich auf einen riesigen Saal mit Monstern der Technik: Hochfrequenzmaschinen, Spulen und Röhren, Sender- und Empfängerapparate und ein Gewirr aus Leitungen und Kabeln. Nach diesem psychologisch ausgereiften Szenarium begannen die geschäftlichen Verhandlungen.

Am kommenden Sonntag können sich Besucher in die damalige Zeit zurückversetzen. Denn zum Tag des offenen Denkmals ist das ansonsten weiträumig abgesperrte Gelände am Ortsrand von Nauen für jedermann zugänglich. Allerdings muss heute auf den Höhepunkt der beschriebenen Inszenierung verzichtet werden. Denn das große Funkhaus steht größtenteils leer. So fehlt also der zweifellos beeindruckende Effekt eines Blicks auf eine Wunderwelt der Technik. Die Mitarbeiter der Deutschen Telekom, die das Funkhaus nach der Wende übernahm, werden am Sonntag jedoch zahlreiche alte Apparaturen aufbauen, um die Funk- und Radiogeschichte lebendig werden zu lassen. Denn kaum ein Gebäude eignet sich dafür im Berliner Umland mehr, als die Funkstation in Nauen. Zwar gehören auch Königs Wusterhausen, Eberswalde und Zeesen zu den Orten mit großen Traditionen. Doch nur von Nauen aus werden bis heute Radioprogramme in alle Welt gesendet: Die Deutsche Welle erreicht von hier aus über Kurzwelle fast jeden Winkel der Erde.

Vielleicht wäre bei der vor zwei Jahren abgeschlossenen großen Renovierung des Funkhauses sogar die irgendwann entfernte Glaswand mit den Vorhängen an der Stirnseite des Vortragssaales wieder eingebaut worden. Doch die heutigen Sender befinden sich aus Kostengründen gleich im Fundament der vier jeweils 81 Meter hohen und 76 Meter breiten Dreh-Antennen im Umkreis des alten Funkhauses. Sie werden von einem kleinen Kontrollraum im Drei-Schicht-System überwacht und notfalls gesteuert. Historiker sowohl der Architektur als auch des Rundfunks bedauern heute den Verzicht, die neuen Sender in den historischen Räumen zu installieren. Doch die Ökonomen setzten sich 1996 bei der Telekom durch, so dass der 13 000 Quadratmeter große Sendesaal heute leer steht.

Das Meisterwerk des Architekten Hermann Muthesius, das von weitem einem Bahnhof, einem Konzerthaus oder einem Flughafengebäude ähnelt, lohnt einen Besuch aber auch ohne zischende, knallende oder brummende Maschinen. "Wir versprechen einen unterhaltsamen Exkurs in die Funk- und Radiogeschichte", sagt Uwe Streich, Leiter der insgesamt 22 Mitarbeiter zählenden Funkstation. Als besondere Attraktion will er das alle Stürme der Zeit unbeschadet überdauerte Gästebuch auslegen. Da stünden Unterschriften vom Kaiser von China ebenso drin wie die von Kaiser Wilhelm II. oder von Hans Bredow, einem Pionier der drahtlosen Telegraphie.

Reichspräsident Friedrich Ebert persönlich hatte zwar am 29. September 1920 die Großstation Nauen offiziell eröffnet, doch schon 1906 war in der Sumpflandschaft des Havelländischen Luchs das erste Gebäude für Versuche mit Großsendern entstanden. Nauen wurde bald zur weltweit leistungsstärksten Station. 1908 konnte von hier aus Funkkontakt zu einem 3600 Kilometer entfernten Schiff in der Nähe von Teneriffa aufgenommen werden. Überliefert aus dieser Zeit ist der recht merkwürdig klingende Satz: "Macht Feuer, wir müssen telegrafieren!" Damals wurden die Sender mit einem wasserdampfbetriebenen Generator gespeist. Die Heizer mussten in einer Schicht viele Schaufeln Kohle schippen.

Im Ersten und Zweiten Weltkrieg stieg die Bedeutung der Funkstation weiter an. Schiffe und U-Boote erhielten von hier aus ihre Anweisungen. 1945 demontierten russische Soldaten die Sender und sprengten die Antennen. Erst 1952 nahm wieder eine Richtfunkanlage für den Telefonverkehr ihren Betrieb auf. 1959 begann die Abstrahlung des Auslandsprogramms von Radio DDR, Radio Berlin International (RBI). Weitere Kunden wurden der Wetterdienst Potsdam, die Nachrichtenagentur ADN und das Außenministerium.

Am 3. Oktober 1990 stellte RBI sein Programm ein, fortan nutzte die Deutsche Welle die Freuenzen. Dafür wurden vor zwei Jahren vier leistungsstarke Kurzwellensender installiert. Über den Monitoren im kleinen Kontrollraum prangt heute der gar nicht bescheiden klingende Satz: "Die Welt um Nauen". Sie kann am Sonntag etwas näher herangeholt werden. Die Deutsche Welle gibt im Sendesaal Einblicke in ihr Programm.Die Funkstation befindet sich nördlich von Nauen. Der kürzeste Weg von Berlin aus führt über die B 5 nach Nauen und von dort aus in Richtung Bahnhof auf der B 273 bis kurz nach dem Ortsausgang. Vom Bahnhof Nauen verkehren regelmäßig Busse zur Station und in die historische Altstadt, wo Führungen stattfinden. Auskünfte unter 03321/40 32 22.

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