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Berlin: American Academy: Auf der Suche nach Kafkas Briefen von einer Puppe

Kafka liebte Berlin. 1923/24 erfüllte er sich seinen Traum und zog hierher.

Kafka liebte Berlin. 1923/24 erfüllte er sich seinen Traum und zog hierher. Eines Tages traf er in einem Park in Steglitz ein kleines Mädchen, das furchtbar weinte, weil es seine Puppe verloren hatte. "Die Puppe ist gar nicht verschwunden, sie ist nur verreist", tröstete der Dichter das Kind. Am nächsten Tag brachte er dem Mädchen einen Brief von der Puppe in den Park, am übernächsten Tag noch einen. So ging das zwei Wochen lang. Die Briefe sind verschollen. Mark Harmann ist aus Pennsylvania nach Berlin gekommen, um sie zu finden.

Der Professor für Englisch und Deutsch ist einer der Stipendiaten (Fellows), die sich im kommenden Semester an der American Academy ihren Projekten widmen dürfen. Gestern präsentierten sich die Künstler und Wissenschaftler erstmals gemeinsam und ezählten, was sie so vorhaben. Dass die Academy nicht einfach nur ein amerikanisches Kulturzentrum sein will, sondern auch ein "Paradies für Akademiker", hätte Direktor Gary Smith gar nicht sagen müssen. Man spürt es sowieso. Der stille Blick über den Wannsee gehört dazu, die gemütliche Bibliothek, aber vor allem der Geist, den die Fellows mitbringen.

Mediokre Akademiker erkennt man in aller Regel an ihrem für normale Menschen unverständlichen Kauderwelsch und ihren verquasten Themenstellungen. Wenn es wirklich elitär wird im positivsten Sinne, sind Offenheit und Neugier die hervorstechenden Merkmale. Davon haben die Fellows reichlich mitgebracht. "Ich musste ja ein Projekt angeben, um das Stipendium zu bekommen", sagt August Kleinzahler, Dichter aus San Francisco, vergnügt schmunzelnd. Und dann liest er es mit einem hübsch inszenierten Holpern von: "Reimagination der Weltkarte. Der Kartograph des 15. Jahrhunderts im Informationszeitalter." Das klingt gut, ist aber keineswegs sein eigentliches Anliegen. Damit rückt er gleich anschließend heraus: Durch die Straßen will er gehen und alles in sich einsaugen, dann warten, was im Kopf passiert.

Ähnlich will die Schriftstellerin Ann Harlemann von der Brown University vorgehen. Bei einem ersten Spaziergang interessierte sie sich für die an Häusern sichtbaren Schichten, die die wechselvollen Jahre nach der Wende hinterlassen haben. Nun hofft sie, möglichst viele Menschen zu treffen, die ihr Geschichten erzählen. Ähnlich geht es der Anthropologin Ruth Mandel, die über Aussiedler aus Kasachstan forschen will. Stephanie Snider aus Brooklyn will ebenfalls zunächst viel umhergehen, aber dann ihre Erfahrungen nicht in Worten, sondern in Skulpturen ausdrücken. Sander Gilman ist glücklich, in dieser, für ihn mit sentimentalen Gefühlen gefüllten Stadt, über seinen Freund Jurek Becker forschen zu können. Am Anfang klingt alles noch vage, das gehört zur Offenheit dazu. Aber natürlich trägt die Arbeit der American Academy dazu bei, dass die besondere Stimmung dieser Jahre des Wandels auf einer Ebene jenseits der Aktualität eingefangen und festgehalten wird.

"Natürlich schlägt sich die Umgebung nieder in dem, was entsteht", sagt die Komponistin Betsy Jolas, die an zwei Klaviersonaten arbeitet. Das tut sie jeden Morgen zwischen neun und eins, bevor sie sich am Nachmittag, Inspirationen suchend, ähnlichen Beschäftigungen widmet wie die anderen: gehen, sehen, absorbieren. Zu den Literaten unter den Stipendiaten ergeben sich für sie Anknüpfungspunkte aus der eigenen Biographie. In ihrem Elternhaus verkehrte regelmäßig James Joyce.

Die American Academy mag nur ein Teil sein eines Phänomens, das in den letzten Jahren immer deutlicher sichtbar geworden ist: der Rückkehr des Geistes nach Berlin. Natürlich hat es hier auch in den Jahren zwischen der Machtergreifung der Nazis und dem Fall der Mauer Künstler und Wissenschaftler gegeben, aber nicht in dieser Fülle. Es gibt immer neue Gründe, sich an die viel beschworenen 20er Jahr zu erinnern. Besonders nahe liegt das in diesem Haus am Sandwerder, das dem Bankier Hans Arnhold gehörte, der mit seiner Familie vor den Nazis fliehen musste, und dessen Tochter Anna-Maria und deren Ehemann Stephen Kellen der frühere Botschafter Richard Holbrooke bewegen konnte, mit einer Millionenspende die Arbeit der Academy erst möglich zu machen.

Es ist ein "Kreis von Kollegen und Freunden", wie es Gary Smith nennt, der den Buchrücken der Bibliothek Gelegenheit geben wird, spritzigen Unterhaltungen zu lauschen. Gegenseitige Anregungen sind schließlich erwünscht und bei der Zusammenstellung der Stipendiaten auch beabsichtigt. Sie nehmen sich alle nicht zu ernst, das ist einerseits gute amerikanische Art, andererseits sehr angenehm. Ronnie Po-chia Hsia etwa begründet sein Forschungsinteresse an der Gegenreformation in Europa und der katholischen Mission in China damit, das es ihm Gelegenheit gibt, sich öfter in sonnigen Gegenden aufzuhalten. In Berlin will er einen speziellen Aspekt erforschen.

Wie Mark Harmann, der das Berlin-Kapitel seines Kafka-Buches ausarbeiten will, solange es vielleicht noch Zeitzeugen gibt. Die Episode mit dem kleinen Mädchen hat er aus der Sekundärliteratur, und er ist sich sicher, dass der Dichter, wenn er länger gelebt hätte, am Ende Märchen geschrieben hätte. Er nutzt die Präsentation gleich zur Recherche und liest die Adressen vor, unter denen Kafka hier gelebt hat: zuerst die Miquelstr. 8 in Zehlendorf. Die Vermieterin, die ihn schließlich hinauswarf, erscheint wieder in der Kurzgeschichte "Eine kleine Frau". Die Grunewaldstr. 13 in Steglitz und die Heidenstr. 25 - 26 in Zehlendorf. Hat jemand dort in den zwanziger Jahren Franz Kafka oder seine Freundinnen Felice Bauer oder Dora Diamant gekannt? Die Spurensuche hat begonnen.

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