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Einen Fußgängerüberweg gefahrlos bei Grün überqueren zu wollen – das ist ein bescheidener Wunsch. Nicht immer wird er in Berlin erfüllt.

© Rainer Jensen, dpa

Ampeln in Berlin: Mehr Grün für Fußgänger!

Schnell rüber - und dann steht man doch wieder nur zitternd auf der Mittelinsel. Berliner Fußgängerampeln sind gefährlich für Kinder, Alte und andere Langsame – warum sind die Grün-Phasen an den großen Kreuzungen so kurz?

10.30 Uhr, an der Memhardstraße, Ecke Karl-Liebknecht-Straße. Speditionswagen, Betonmischer und Reisebusse donnern vorbei. Ich will mit einem Kinderwagen sowie dem Dreijährigen auf seinem Laufrad die Straße überqueren. Okay. Jetzt nur keinen Fehler machen. Eine Hand an die Kapuze des Großen, eine Hand an den Kinderwagen des Kleinen.

„Mamiii“, zirpt es von unten, „wann kommt denn das grüne Ampelmännchen?“ Das rote Ampelmännchen beehrt uns bereits seit einer Minute und 18 Sekunden, dann wird es grün – exakt zehn Sekunden lang. Huch, eine Sekunde zu lange geträumt. Los! Der Große nimmt Fahrt auf, ich hinterher, es reicht nicht. Mitten auf der dreispurigen Straße bleibt er stehen. „Mamiii, es ist wieder rot!“ – „Komm trotzdem!“ – „Aber bei rot darf man nicht gehen!“ – „Du sollst kommen!“ Ich zerre das Kind auf den ersten Teil der Mittelinsel, abbiegende Autos fahren bereits im Affenzahn um die Ecke. Schock, rumpelrumpelschleif, da kommt bereits die Straßenbahn.

Wenn ich einen Adrenalinrausch will, fahre ich Achterbahn

Ich will keine Brüll-und-Schleif-Mutter sein. Schlechte Laune breitet sich aus. Ich begebe mich von majestätischen 160 Zentimetern auf 90 Zentimeter runter, was in etwa der Höhe eines Lkw-Reifens entspricht. Aus der Hocke sieht die Welt deutlich anders aus.

Endlich Grün. Aufspringen, Bremse des Kinderwagens lösen. Zügig überqueren wir die Tramgleise, auch die dritte Ampel zeigt nun Grün, nein, halt, stopp, zurück! Rot. Schon wieder. „Können wir nicht einfach gehen?“, zirpt es von unten. „Gerade sind wir doch auch…“ – „Nein!!!“, kommandiere ich. Der Große will nicht festgehalten werden, ich tue es trotzdem. Geschrei. Mehrere Passanten drängeln sich vor uns in die beste Startposition. Böser Blick, als ich ihnen mit Kinderwagen und zappelndem Kind-Laufrad-Bündel unterm Arm zu nahe komme. Hat die Alte ihre Brut nicht im Griff? Egal. Jetzt beobachtet jeder die Ampel. Grün! Und los. Schnell, schnell, schnell, ein Fahrradfahrer weicht uns aus, uff, in Sicherheit.

Liebe Verkehrslenker! Wenn ich einen Adrenalinrausch will, fahre ich Achterbahn. Wenn ich mich anpflaumen lasse möchte, strample ich mit dem Lastenfahrrad einer Freundin die Schönhauser hoch. Ampeln sollten friedliche, benutzerfreundliche Orte sein. Doch Berliner Fußgängerampeln sind gefährlich für Kinder, Opas mit Hackenporsche und andere Langsame und Schwache – so lange die Grün-Phasen an den großen Kreuzungen so kurz bleiben, wie sie sind (die eingangs erwähnten Zeiten sind nachgestoppt) und die Autofahrer bei Gelb Gas geben. Das muss aufhören, auch an der Schönhauser Allee, der Karl-Marx-Allee, dem T-Damm, C-Damm, an der Yorckstraße und und und. Beschwerden gibt es aus allen Stadtteilen, sogar die Junge Union Reinickendorf ist auf meiner Seite.

Es ist Zeit, die Wege des Passanten neu zu denken

Und nein, aus unserer pfeilschnellen Metropole, übrigens Sitz der ersten deutschen Ampel, soll kein zweites Fort Lauderdale werden. Doch die autozentristische „7. Sinn“- Ära, in der Fußgänger bestenfalls als Fliegen vor der Windschutzscheibe gesehen wurden, war bereits lange vor Ausstrahlung der letzten Folge der „Mutter aller Verkehrserziehungssendungen“ 2005 vorbei. Es ist Zeit, die Wege des Passanten neu zu denken, statt ihn im dreckigen Spritzwasser eines Sattelzugs stehen zu lassen.

Dass die Berliner Carsharing-Sonntagsfahrer, Bürgersteig-Crosser, Rotabbieger und Zebrastreifen-Ignoranten für groß angelegte Shared-Space-Konzepte bereit sind, möchte ich bezweifeln. Wenn im Straßenverkehr gesunder Menschenverstand gefragt ist, versagen die Instinkte in dieser Stadt. Doch einen Fußgängerüberweg gefahrlos bei Grün überqueren zu wollen – das ist ein bescheidener Wunsch, wie ich finde. Es geht um wenige Sekunden. Nur ein kleines Stück vom Kuchen, nicht die ganze Bäckerei.

Hier ist die Lösung: In Singapur können Ältere Chipkarten beantragen, die, vor ein Lesegerät am Ampelmast gehalten, Ampelphasen um bis zu 13 Sekunden verlängern. Perfekt für Berlin! Bezahlen ließe sich ein solches Projekt aus den Einnahmen der Falschparker-Knöllchen in Parkzone 29. Da kann mir niemand vorwerfen, nicht in Vorleistung gegangen zu sein.

Dieser Text erschien in der Rant-Rubrik auf den Mehr-Berlin-Seiten des gedruckten Tagesspiegels.

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