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Berlin: Anarchie à la France

Sie experimentieren und lesen vor: die Autoren von „Oulipo“

„der bug hat zwei fübe: ügel beg und ügel tal“ Nein, es handelt sich nicht um Schreibfehler, sondern um den Titel eines Gedichts. Gedicht? Ganz richtig. Oskar Pastior hat es 1983 geschrieben, um zu zeigen, wie Sprache zur durchstrukturierten Anarchie wird. Das literarische Spiel erreicht man durch einen selbst auferlegten Zwang, etwa, einen Text ohne den Buchstaben „o“ zu schreiben oder die Buchstaben nach einer mathematischen Formel zu vertauschen. Sprache als Versuchslabor, als Schlachtfeld für mathematische Formeln... So etwa muss der Aufruf gelautet haben, mit dem der französische Schriftsteller Raymond Queneau, der 1960 Oulipo, die „Werkstatt für potenzielle Literatur“ gründete. Oskar Pastior, Marcél Bénabou, Anne Garréta, Hervé Le Tellier, Ian Monk, Jaques Roubaud, Jacques Jouet und Olivier Salon von der Gruppe Oulipo lesen derzeit im Berliner Literaturhaus zu den Themen „Hommages, Dialogues, Parcimonies“ Ehrung, Dialog, Sparmaßnahmen - ausgewählte Texte vor.

Die Lesung ist dem 100sten Geburtstag von Raymond Queneau gewidmet, der sich hierzulande mit Werken wie „Zazie in der Metro“ einen Namen gemacht hat. Was genau passiert also bei den Lesungen? „Wir machen Quatsch“, grinst Marcel Bénabou. „Sei doch mal ernst!“, wirft Hervé Le Tellier ein.

Die Idee von Oulipo: Eine vernünftige Mischung aus Grammatik und Mathematik. Kein Wunder also, dass Oulipo schon früh mit informatischen Mitteln gearbeitet hat. Doch auch ein Rechner kann nicht alles. „Kombinieren ist mit Computern leicht, aber an komplexen Arbeiten scheitern sie.“ Anne Garréta sitzt mit Sonnenbrille am Tischende. Sie ist bei Oulipo das letzte aufgenommene Mitglied, steht auch für das Ende eines „Männervereins“.

Das Geordnete mit Absicht zu verwirren braucht Zeit. „Wir nehmen zum Beispiel einen Namen und schreiben einen Text, in dem nur die Buchstaben des Vor- und Nachnamens vorkommen“, erklärt Jacques Roubaud. „Oder“, ergänzt Anne Garréta, „man schreibt ein Gedicht, und lässt im ersten Vers den ersten Buchstaben ihres Namen aus, im zweiten den zweiten etc.“ Improvisiert wird nie. „Nein“, zuckt Marcel Bénabou förmlich zusammen, „ das widerspricht völlig unseren Grundsätzen!“

Es ist der fünfte Berliner Aufenthalt für die Autorengruppe. „Das, was wir machen, ist nicht typisch für französische Schriftsteller. Unsere Regeln sind universell“, meint Jacques Roubaud, selbst Autor von rund hundert Werken. Die Gruppe zählt 34 Mitglieder unterschiedlicher Nationalitäten, von denen 13 „wegen Ableben entschuldigt sind“. Oulipo trifft sich seit 1960 jeden Monat, um über neue Regeln zu diskutieren und Werke vorzustellen. Die Schriftsteller lesen am Donnerstag um 20 Uhr im Literaturhaus. cof

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