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Berlin: Anarchie an der Friteuse

Imbissbuden sind letzte Individuen im langweilig verplanten Stadtraum, sagt Jon von Wetzlar Von Berlins 2000 Buden schätzt er besonders die dreckigen – und hält heute darüber einen Vortrag

Essen will er nichts. Keine Curry, keine Ketwurst. „Um Gottes willen“, sagt Jon von Wetzlar, „meine Gesundheit ist mir lieb und teuer.“ Er isst nie an Imbissbuden. Trotzdem kennt er sich mit der Angebotspalette bestens aus. „Sternburg Pilsner ein Euro“, liest er laut vom selbst gemalten Preisschild der Imbissbude auf dem Platz der Vereinten Nationen am Volkspark Friedrichhain, „ziemliches Kampfangebot“. Seit Jahren schon ist von Wetzlar intimer Kenner der „Betriebe des Kleinmahlzeitengewerbes“, wie die gemeine Wurstbude offiziell heißt.

Ein Buch, eine Fotoausstellung, ein Spiel, ein Archiv und eine Stadtführung hat er erarbeitet. Und am heutigen Dienstag hält er über das in Berlin 2000-fach verbreitete Stück Alltagskultur einen architektonisch und soziologisch wertvollen, aber auch leicht angeschickerten Vortrag im Museum für Kommunikation. „Imbissbudenpapst“ nennt der kürzlich ebenfalls mit einem Buden-Buch hervorgetretene Musiker und Schauspieler Jon Flemming Olsen den gebürtigen Pankower. Jon von Wetzlar ist ein Pseudonym: „Wie Lars von Trier.“

Radiomusik plärrt aus dem „Pavillon am Hain“, drei Typen mit Vokuhila prosten sich stehend zu, einer sitzt allein bei Bier und Kümmerling am Tisch. „Stammkunden zweiter und erster Ordnung“, analysiert von Wetzlar. Die erster Ordnung dürften sitzen, die anderen stünden, aber seien trotzdem in die Kommunikation eingebunden.

Hinten aus den Lüftungslamellen quillt eine satte Geruchswolke. Ranziges, olles Fritierfett. „Ja, die Fahne ist o. k.“, lobt von Wetzlar und kommentiert feinsinnig: „Der hat keinen Filter, sonst wären die Scheiben nicht so schmierig.“ Der Autor hat so seine eigenen Vorstellungen davon, was eine gute Imbissbude ausmacht: hässlich, dreckig, stinkend soll sie sein. Wo’s die beste Wurst gibt, interessiert ihn dagegen absolut nicht. Langweilig, so ein Ranking! Für ihn sind Imbissbuden was viel Wertvolleres: „urbane Anarchisten“ und die „letzte individuelle Äußerung“ im glatten, komplett von Planern und Architekten besetzten Stadtraum. „Weil der Betreiber hier noch selber bestimmt, wie seine Bude aussieht.“ Sie sei Stein des Anstoßes für Ordnungsfanatiker und unverzichtbare Heimat für Laufkunden und Stammtrinker.

Sogar eine Buden-Typologie hat von Wetzlar entwickelt: Bude, Verkaufsklappe und sonst nichts – das ist der „native Typ“, der „entwickelte Typ“ verfügt über Tisch, Stühle, Sonnenschirm oder Windfang, und der „definitive Typ“ ist ein wild wucherndes Gebilde aus Bude und begehbaren Anbauten. „Das ist der interessanteste, so wie die hier oder der Ägypter mit Zelt auf der Oranienburger Straße.“

Was Jon von Wetzlar gar nicht gefällt, ist, dass mit den Brachen in Berlin auch die Buden schwinden. Trotzdem sei die Imbisslandschaft der Stadt so multinational wie sonst nirgends. Immer wieder ändere sich die Esskultur. Der Dönermann zöge sich neuerdings aus dem mobilen Imbiss zurück, hat von Wetzlar festgestellt. Die dritte Migrantengeneration will lieber ein Imbisslokal im Fastfoodkettenstil, eine Bude sei „zu popelig“.

Und dann mischt sich die Rostbratwurstesserin vom Nachbartisch ein: Die Imbissbude sei für Städter, was die Feuerstelle für Nomaden sei, lautet ihre steile These. Von Wetzlar ist begeistert.

„Die Imbissbude als Treff- und Streitpunkt“, 18.30 Uhr, Museum für Kommunikation, Leipziger Str. 16, Mitte, Eintritt frei

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