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Nach Trunkenheitsfahrt gefeuert. André Stephan.

© dapd

André Stephan ein Jahr nach Alkoholfahrt: "Es hat mich aus der Kurve getragen"

Im Roten Rathaus wird am Dienstagabend wieder ein Hoffest gefeiert. Im vergangenen Jahr verlor der grüne Wahlkampfmanager André Stephan danach seinen Job. Heute, ein Jahr später, blickt er zurück.

Die Partei ist noch immer ganz in der Nähe. Auch jetzt. André Stephan steht vor dem Haupteingang des Ostbahnhofs. Sonntagnachmittag. Eigentlich wollen wir erst mal nicht über Politik sprechen. Dann aber, na klar, fährt Christian Ströbele auf seinem Christian-Ströbele-Fahrrad vorbei, Lederranzen auf dem Gepäckträger, Augenbrauen im leichten Fahrtwind. Ströbele biegt in die Straße der Pariser Kommune. Stephan schaut ihm kurz nach. Sie lassen ihn eben nicht los, die Grünen: „Ich bin ja immer noch engagiertes Parteimitglied.“ Also sprechen wir doch, ganz kurz, über Politik.

Über die Basisarbeit im Kreisverband. Und über die sozialdemokratische Konkurrenz, die sich am Abend zuvor selbst zerlegt hat. Weil das auch gar nicht anders geht. Es ist schwer, sich mit André Stephan zu treffen, ohne ins Politische zu driften. Noch schwerer aber ist es, sich mit André Stephan zu treffen, ohne große Worte im Gepäck zu haben. Worte wie Reue oder Moral.

An diesem Dienstag lädt Klaus Wowereit wieder zum Hoffest im Roten Rathaus. Für Stephan bedeutet das: Es ist ein Jahr vergangen seit jener Nacht im Juni 2011, die ihn erst in die Schlagzeilen und schließlich um seinen Job bei den Grünen gebracht hat.

André Stephan, Landesgeschäftsführer der Berliner Grünen, ist als Wahlkampfmanager bis dahin der Schatten an der Seite der Spitzenkandidatin Renate Künast. Nie ohne Blackberry, dafür aber ohne Pause. „Der Mann hat 23 Stunden am Tag für uns gearbeitet“, sagt einer aus der Partei zu jener Zeit.

Auf dem Hoffest spricht er zuerst als Gastredner, zwischendurch fährt er zu einer anderen Veranstaltung, und ist dann, weit nach Mitternacht, wie viele andere nur noch Partygast. Natürlich wird getrunken, der Stress eines langen Tages, einer schon damals überhitzten Kampagne, mit Sekt heruntergespült. Und ja, es wird getanzt. Gegen vier Uhr früh setzt sich Stephan in sein Auto. 1,19 Promille. Schnapsidee. Weit kommt er nicht. An der Kreuzung Holzmarktstraße/Lichtenberger Straße schläft er an einer Ampel ein. Erst eine Polizeistreife reißt ihn aus dem Dämmerzustand.

Der Polizeibericht über die anschließende Festnahme ist das Protokoll eines Kontrollverlusts. Versuchte Flucht, Beleidigung, Handschellen. Auf der Dienststelle nehmen die Beamten Stephan schließlich Blut und Führerschein ab, dann schicken sie ihn nach Hause. Stephan schläft kurz, duscht und fährt, wenig später, schon wieder in Richtung Kreuzberg, zu einer Spendenveranstaltung. Es ist schließlich Wahlkampf. „Es war nicht die beste Entscheidung“, sagt er heute. Denn so weiß bei den Grünen noch niemand, dass sie im Laufe des Tages von einer Eruption erfasst werden sollten, die später zu einem „kleinen Ruckler im Getriebe“ verklärt wird.

Auf die Alkoholfahrt folgt der politische Absturz.

Ernüchtert: André Stephan heute.
Ernüchtert: André Stephan heute.

© Thilo Rückeis

Um 10 Uhr bekommt Stephan einen Anruf der „Bild“-Zeitung. „In dem Moment wusste ich nicht nur, dass es Ärger gibt. Ich wusste auch, dass es vorbei ist für mich.“ Die Grünen haben nun einen Skandal, in dem es auch um Glaubwürdigkeit und Moral geht. Sie müssen reagieren. Stephan wird von seinen Aufgaben und Ämtern entbunden. Auf die Alkoholfahrt folgt der politische Absturz.

Landesgeschäftsführer, Wahlkampfkoordinator, das heißt Arbeit unter extremen Bedingungen. Wenig Schlaf, ständige Bereitschaft: „Ich habe mich damals übernommen. Dieser Job hatte eine körperliche Komponente und die hatte ich deutlich unterschätzt.“ Man kann sehen, wie André Stephan, während er spricht, die Erinnerungen aber auch die Worte sortiert. Damit er jetzt nichts Falsches sagt. Etwas, das sich später so anhört, als versuche er, die Alkoholfahrt auf diese Weise zu rechtfertigen. Dann sagt er: „Es hat mich aus der Kurve getragen.“

Es ist ein Eingeständnis, erwachsen aus dem gewonnenen Abstand, der ihm auch erlaubt hat, „mal einen Gang rauszunehmen, zu schauen, was eigentlich wichtig ist“. Er hatte plötzlich, das erste Mal seit Jahren, Zeit für sich, für die Familie. Zeit zum Nachdenken.

Und, natürlich, das kommt unweigerlich und in Schüben, für den Blick in den Spiegel, fassungslos im Angesicht der eigenen Dummheit. „Wenn man Politik so lebt wie ich und dann alles mit dem Arsch einreißt, greift man sich natürlich an den Kopf“, sagt er. Blick auf die Holzmarktstraße. Wir könnten jetzt zu der Kreuzung gehen, an der ihn die Polizei damals aufgegriffen hat. Aber das will Stephan nicht. Ein Schulterblick in ein Gestern, über das genug gesagt ist. Stattdessen lieber Gegenwart. Banales Ding: Wie geht es ihm heute? Klare Antwort: Gut. „Ich bin gesünder, gelassener geworden. Und habe auch gelernt, professionell sein heißt nicht sieben Tage durchackern.“

Er arbeitet mittlerweile abseits der politischen Bühne. „Elektromobilität. Kleinigkeiten, Beraterjobs“, sagt er. Mehr sagt er nicht, bleibt vage. Stephan ist vorsichtig geworden. Auch in den Äußerungen, die mögliche politische Ambitionen betreffen. Zukunftsmusik, ganz leise: „Ich will mich einmischen, aber ich arbeite jetzt auch nicht manisch darauf hin, etwas zu finden, damit es den Rest verdrängt.“ Damit verabschiedet er sich und steigt auf eines dieser Miet-Fahrräder der Bahn. Den Führerschein hat er längst wieder. Aber André Stephan ist eben ein Grüner geblieben.

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