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Berlin: Andrea Bolze (Geb. 1958)

Sie brauchte nicht viel, aber was sie umgab, sollte fröhlich stimmen.

Ich bin wohl die Einzige unter uns, die sich freut, fünfzig zu werden“, frotzelte sie an ihrem Geburtstag. Ihre Freundinnen waren da, ihre Tochter, keine laute Party, aber auch kein Abschiedsmahl. Zusammen sitzen, zusammen reden, zusammen lachen.

Was schenken am letzten Geburtstag?

Ein frohes Kleid, farbige Tücher, ein bilderbuntes Buch, Dinge, die augenblicklich glücklich stimmen. Dafür hatte sie schon immer ein Faible, fürs Schmückende. Bänder, Ringe in allen Größen, Halsketten, Fußkettchen. Sie trug gern viel an sich und so war ihr Auftritt stets unüberhörbar.

Aus der Provinz war sie gekommen, ihrer ersten Liebe nach Berlin gefolgt. In Kreuzberg blühte sie auf, inmitten derer, die so leben wollten wie sie. Sie bastelte Schmuck, sie töpferte, sie werkelte, aber sie zockte auch mit Leidenschaft, Skat, Doppelkopf, Poker, zog gern die Kerls ab.

Die große Liebe hielt lange, aber nicht ewig, doch sie rappelte sich wieder auf.

Der Traum vom Leben: Für mich soll’s rote Rosen regnen, / mir sollten sämtliche Wunder begegnen … Keine Angst vor Kitsch, niemals. Nicht in der Musik, nicht in der Mode, nicht im Alltag. Andrea brauchte nicht viel, aber das, was sie umgab, sollte fröhlich stimmen: künstliche Palmen, ein elektrischer Kamin, dessen Plastikscheite auch im Sommer glühten.

Zu Weihnachten verschenkte sie gern rote Herzen, mit goldener Inschrift, und für ihren persönlichen Schutz sorgte eine stets transportable Einsatzgruppe von Buddhas und Engeln.

Ihr ganz persönlicher Fixstern war der Südstern, hier eröffnete sie ihr Dessousgeschäft „Madonna“, das ihr im ersten Jahr kein Glück brachte – der Laden wurde komplett ausgeraubt. Sie kam wieder auf die Beine, denn sie hatte ein Händchen fürs „Aufhübschen“, half denen, die zu viel Brust hatten, oder zu wenig, oder gar keine mehr.

Unvermittelt bekam sie Panikattacken, immer häufiger, traute sich kaum mehr außer Haus. Sie zog aufs Land zu ihrem neuen Freund, und dann kam der Tag, Ostern 2006, als sie den Knoten ertastete. „Alles nicht so schlimm“, winkte sie ab, „dann lass ich mir eben zwei schöne Neue machen!“ Aber der Tumor hatte bereits gestreut. Über das nahende Ende sprach sie nicht. Nicht mit ihren Freunden. Manche zermürbt die Angst, manche werden willensstärker.

Sie unterzog sich einer homöopathischen Kur in der Schweiz, glaubte an Heilung, spürte sie und irrte sich. Sie, die so fordernd gewesen war, sie verlangte nichts mehr, sie freute sich an dem, was war – und glaubte wider alle Vernunft an ihr Überleben. Eine Zeit lang wohnte sie bei einer Familie in Lübars, ging dort über die Felder, kam zur Ruhe. Die Krankheit ließ los, Zuversicht keimte auf, dann krallte sie sich den Körper wieder ganz und gar.

Die wenigsten Wunder, die einem begegnen, erkennt man als Wunder. Sie wurde immer hellhöriger, immer dankbarer, für das, was ihr geschenkt worden war. Ihre Tochter, deren Liebe; ihre Freundinnen, mit denen sie hatte alt werden wollen, das Leben, das eines der schönsten überhaupt ist und von dem sie so ungern ließ.

In der Klinik kam es zuweilen vor, dass die Gesunden vor ihr erschraken und sie anstarrten mit der ganzen Blödigkeit derer, die glauben, der Tod treffe nur die anderen. Sie starrte zurück. Nicht böse. Böse war sie nur denen, die nicht leben wollten, den Grämlichen, den Unfrohen, den Toten zu Lebzeiten. Wie viele verschwendete Tage, wie wenig Liebe bei vielen! Ihr blieb diese große Sehnsucht, sich noch einmal zu verlieben, bis zum Schluss.

Und heute sage ich still, / ich sollte, mich fügen, begnügen, / ich kann mich nicht fügen, / kann mich nicht begnügen, / will immer noch siegen, / will alles, oder nichts.

Bis zuletzt sprach sie mit ihren Freundinnen, tröstend, auch wenn ihr allmählich die Stimme versagte. Dann, als es gar nicht mehr ging, entschied sie: „Morgen geh’ ich“. Sie hielt Wort. Gregor Eisenhauer

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