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Berlin: Andreas Rocholl will die Hauptstadt zum Mekka modernen Musiktheaters machen

Wie sich das wohl anfühlt, bis zum Hals eingegraben zu sein? Eiko Morikawa wüsste vielleicht eine Antwort darauf - doch die japanische Sopranistin darf jetzt nicht gestört werden.

Wie sich das wohl anfühlt, bis zum Hals eingegraben zu sein? Eiko Morikawa wüsste vielleicht eine Antwort darauf - doch die japanische Sopranistin darf jetzt nicht gestört werden. Sie muss sich auf ihre verteufelt schwere Gesangspartie konzentrieren. Und vor allem muss sie sich kerzengerade halten. Jede Bewegung würde die Stimmung sofort zerstören. Die ganze Wirkung der Inszenierung von Morton Feldmans Oper "Neither", die gerade im Hebbel-Theater geprobt wird, ist darauf ausgelegt, dass die Sängerin zwischen Himmel und Hölle zu schweben scheint. Aus einer riesigen, weißen Leinwand, die den gesamten Bühnenraum quer durchschneidet, schaut einzig und allein ihr Kopf hervor. Eben als wäre sie eingegraben.

Trotzdem sieht Eiko Morikawa nicht unglücklich aus. Konzentriert blickt sie ins Parkett, wo der riesige Fernseher aufgebaut ist, auf dem sie den Dirigenten sehen kann. Eiko Morikawa ist genauso freiwillig hier wie die 56 Orchestermusiker, die hinter der Sopranistin im Verborgenen sitzen. "Wir arbeiten nur mit Künstlern, die wirklich Lust haben auf neue Musik", erklärt Andreas Rocholl die Philosophie der "Zeitgenössischen Oper Berlin". Seit der Gründung vor drei Jahren kämpft er für ein modernes Musiktheater, das mit Liebe gemacht wird - und nicht nur mit distanzierter Professionalität wie so oft in den großen Hochkulturinstitutionen.

Vier Produktionen hat der 35-Jährige schon in Berlin auf die Beine gestellt. Sein charmantes Lächeln und sein einnehmendes Wesen hat ihm dabei viel geholfen. Denn bis zum Beginn dieses Jahres, als die "Zeitgenössische Oper" erstmalig staatliche Fördergelder überwiesen bekam, war Rocholl ganz auf Spendengelder aus der Wirtschaft angewiesen. Deutsche Bank, Allianz Versicherung, die Liste seiner Sponsoren ist beeindruckend. Ebenso wie die Arbeit seiner Teamkollegin Barbara Gstaltmayr. Die Pressefrau der ZOB schaffte es tatsächlich, Klaus Umbach, den mächtigen Musikkritiker des "Spiegel", aus Hamburg nach Berlin zu locken. In dieser Woche ist die unglaubliche Geschichte der "Zeitgenössischen Oper" auf drei "Spiegel"-Seiten nachzulesen.

Es lag wohl an der ungewöhnlichen Idee der ZOB - und an ihrer ganz bescheidenen Präsentation, dass sich der "Spiegel" für das Projekt erwärmen konnte, vermutet Barbara Gstaltmayr. Zwar ist die ZOB noch lange nicht "Berlins viertes Opernhaus", wie das Magazin behauptet - schließlich gibt es da noch die Neuköllner Oper, die seit über 20 Jahren Oper für Zeitgenossen macht, außerdem die Berliner Kammeroper und die Neue Opernbühne - aber sie will es werden. Eines nämlich unterscheidet Andreas Rocholl von seinen Kollegen. Er will nicht zur Off-Opern-Szene gehören, sondern sein eigenes Theater betreiben - nur mit Opern, die nach 1945 entstanden sind. An 200 Abenden im Jahr soll der Vorhang hochgehen: "So wie der Berlin-Besucher genau weiß, wohin er gehen muss, wenn er in der Stadt zeitgenössische Kunst sehen will, soll er einen Ort haben, an dem er jederzeit neue Musik erleben kann", erklärt der ZOB-Gründer mit entwaffnendem Selbstbewußtsein.

Vorerst aber muss Rocholl noch kleine Brötchen backen. Die 100 000 Mark vom Senat reichen gerade für zwei Aufführungen der Feldman-Oper im Hebbel-Theater. Im Herbst soll dann Aribert Reimanns "Gespenstersonate" folgen - finanziert von Michael Naumanns Hauptstadtkulturfonds. Drinnen im Saal steckt Eiko Morikawa unterdessen immer noch bis zum Hals im weißen Bühnentuch - und zwischen den rätselhaften Worten von Samuel Beckett, die Morton Feldman mit seiner faszinierenden, schwebenden Musik eingehüllt hat. Wie sich das wohl anfühlt?Hebbel-Theater, 28. und 30. April, 20 Uhr.

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