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Und jetzt alle zusammen: Merkel singt mit Schülern der Röntgen-Schule "Hejooo...hejoooho"

© Reuters/Maurizio Gambarini

Update

Angela Merkel in Berlin-Neukölln: "Geht doch einfach mal ins Kino nach Marzahn"

Die Kanzlerin hat am Dienstag die Röntgen-Schule in Neukölln besucht. Eigentlich sollte es um die EU gehen. Doch die Schüler wollten mit Angela Merkel lieber über Integration sprechen - und am Ende mit ihr singen.

Wenn es ein Bild für die Begegnung der Bundeskanzlerin mit dem Neuland gibt, dann wohl dieses: Angela Merkel (CDU) läuft mit ihrem Kanzlerin-Lächeln und ausgestreckter Hand über den Schulhof der Röntgen-Schule. Links und rechts von ihr hunderte aufgeregte Realschüler. Merkel streckt die Hand aus – die Schüler ihre Smartphones. Merkel kommt näher, ganz nah ran. Selfies statt warmem Händedruck. Die Willkommensmusik der Saxophonspieler und Paukenschläger geht im Blitzlichtgewitter unter. Merkel ist am Dienstag an die Sekundarschule in Neukölln gekommen, um die Schüler für den Europäischen Gedanken zu erwärmen.

Den EU-Projekttag an Schulen hat Angela Merkel vor acht Jahren, als sie gerade EU-Ratspräsidentin war, ins Leben gerufen. Seither gehen Politiker an diesem Tag in Schulen, um über die Zukunft der EU zu diskutieren. Die Schüler auf dem Pausenhof können sich aber vor allem für den freien Schultag und das schöne Grillwetter erwärmen.

"Mir ist es eigentlich egal, dass sie heute da ist", sagt ein Neuntklässler der Röntgen-Schule. "Ich finde die Politik von Merkel überhaupt nicht gut, weil sie die Türkei nicht in die EU aufnehmen will." Der Junge, dessen Eltern aus Ankara kommen, hat ein echtes EU-Problem mit der Kanzlerin, darüber mit ihr sprechen möchte er heute aber nicht. Er genießt lieber die Freistunden.

Die Fragen haben sich die anderen überlegt. Auf der Bühne in der Aula sitzen sieben Schüler, sie haben Fragezettel vorbereitet, die sie in den Händen, feucht vor Aufregung, hin und her schieben. "Wir haben hier keinen Leistungskurs für Politik, und die EU ist ein schwieriges Thema", leitet der betreuende Lehrer die Diskussion ein. Also geht es vor allem um persönliche Fragen, die EU spielt eine Nebenrolle.

Bei der Kopftuch-Frage weicht Merkel aus

Die Schülerin Fatma sorgt sich, mit ihrem Kopftuch schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu haben. Ob man da nicht auf europäischer Ebene etwas dagegen machen könne, will sie von der Kanzlerin wissen. "Nicht jeder vermutet hinter einem Kopftuch gleich eine Nobelpreisgewinnerin", gibt die Bundeskanzlerin zu. Wichtig sei, dass es Rollenvorbilder gebe. Das Tragen von Kopftüchern sei aber so ein großes Thema, dafür müsse es ein eigenes Treffen geben.

Zu der Zeit, als Merkel die Idee mit dem Projekttag kam, hatte die Röntgen-Schule noch ganz andere Sorgen. Weil sich Gewaltvorfälle häuften, engagierte die Röntgen-Schule im Jahr 2007 private Sicherheitsleute, die kontrollieren sollten, wer das Schulgelände betritt. Seit dem Schuljahr 2010 hat sich die Röntgen-Realschule mit der Kurt-Löwenstein-Hauptschule zu einer integrierten Sekundarschule zusammengeschlossen.

"Wenn ich nach Neukölln komme, gucken mich auch alle an"

Um Integration geht es den Schülern auch heute. Warum Deutsche und Ausländer so selten im gleichen Viertel wohnen, fragt einer. Ein anderer will wissen, warum Deutsche immer solche Vorurteile gegenüber den Leuten in Nord-Neukölln hätten: "Wir wollen doch nur auch mal deutsche Freunde haben", sagt er. Die Kanzlerin fragt zurück: Ob man sich denn mit Schulen in Marzahn austausche, vielleicht zusammen das Fasten breche oder Advent feiere. "Oder geht doch einfach mal ins Kino nach Marzahn", schlägt die Kanzlerin vor. Das Wichtigste sei es, den Mut zu haben, aufeinander zuzugehen.

Die Kinder bleiben hartnäckig, wiederholen ihre Sorgen: "Ich wette, wenn Fatima mit dem Kopftuch nach Marzahn geht, wird sie gleich wieder komisch angeguckt", sagt ein Junge. Merkel antwortet: "Wisst ihr, wenn ich nach Neukölln komme, gucken mich auch gleich alle so an", sagt sie. Immerhin, der Saal lacht.

Die Schülerband stimmt ein Piratenlied an

Am Ende fragt die Kanzlerin, ob die Schüler denn wüssten, von wem ihre Schule den Namen hat. "Das war ein Physiker, der hat die Röntgenstrahlen erfunden", sagt der junge Moderator. Das Stichwort für die Kanzlerin. Mit ungewohnter Begeisterung erzählt sie von dem Mann, der 1901 den ersten Nobelpreis für Physik gewann. "Die Strahlen hat er in Würzburg entdeckt, begraben ist er in Gießen", erzählt die Kanzlerin. Dahin solle die Schule mal einen Ausflug machen. "Deutsche Kinder findet ihr da übrigens auch", fällt der Kanzlerin ein. Fast hätte sie das Thema Integration aus den Augen verloren. Über die EU redet schon lange keiner mehr.

Auf dem Schulhof spielt zum Abschied wieder die Band. "Ja, wir sind Piraten und fahren zu Meere und fürchten nicht Tod und Teufel dazu!", schallt es aus den Lautsprechern. "Wir lachen der Feinde und aller Gefahren, im Grunde des Meeres erst finden wir Ruh!" Ein Lied, als wäre es für die Stürme der wieder aufbrausenden BND-Affäre gemacht, noch so ein Stück Neuland. Merkel, eigentlich schon auf dem Sprung zum nächsten Termin mit dem israelischen Präsident Reuven Rivlin, lässt sich zum Mitsingen überreden, greift zum Mikrofon. Doch zum BND sagt die Kanzlerin nichts. Lieber stimmt sie in den Refrain ein. "Heejoo, heejoooho", kommt es Angela Merkel lau über die Lippen.

Luisa Jacobs

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