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Berlin: Angelika Schnell-Dürast (Geb. 1927)

Bunte Bilder machte sie für die Werbung. Dann wurde sie Bibliothekarin

An den ersten Tag ihrer Begegnung kann Frau B. sich noch genau erinnern. Sie war neu angestellt im Bundesinstitut für Berufsbildung und wartete gespannt darauf, die Leiterin der hauseigenen Bibliothek kennenzulernen.

Bibliotheksleiterinnen stellte sie sich ein wenig angestaubt vor. Stattdessen betrat eine Frau den Raum, die sich in ein blau-weiß gestreiftes Gewand gehüllt hatte und am Handgelenk eine Herrenuhr ohne Zifferblatt trug. So lebhaft wie das Uhrwerk schien auch sie selbst.

Es entstand eine Freundschaft, die über drei Jahrzehnte andauerte.

Frau B. schaut auf das Manuskript, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Das Foto auf dem Deckblatt zeigt einen halterlosen Kronleuchter, der über einem dunkel dahinfließenden Fluss schwingt, im Hintergrund die Silhouette einer Stadt. „Prager Fragmente“ steht darüber.

Bevor Angelika Schnell-Dürast die Stelle in der Bibliothek annahm, hat sie lange Jahre als Werbefotografin und -filmerin gearbeitet. An dem Prag-Buch arbeitete sie bis kurz vor ihrem Tod.

„Es gibt noch so vieles, das ich sie gerne gefragt hätte“, sagt Frau B. „So vieles, das ich nicht weiß.“ Passend dazu der Titel, den Angelika Schnell-Dürasts anderer Fotoband trägt: „Ein Rätsel will ich bleiben mir und anderen.“ Ein Buch über den Märchenschloss-Errichter Ludwig II von Bayern.

Lieber als von sich selbst sprach Angelika Schnell-Dürast über die Fotos, die sie machte.

Ganz rätselhaft ist ihr Werdegang dennoch nicht geblieben: Frau B. erfuhr, dass sie in Leuna und Halle aufwuchs. Sie besuchte die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, fühlte sich dort jedoch in ihrer künstlerischen Freiheit beschnitten und zog um nach West-Berlin, wo sie Fotografie studierte.

Von ihren Kriegserinnerungen sprach Angelika Schnell-Dürast, die nach Schönheit suchte, nur sehr selten. Lieber erzählte sie von ihrer Mutter, einer Buchhändlerin, die sie monatlich besuchte, der Mauer zum Trotz. Von Hermann, ihrer Sandkastenliebe, den sie heiratete. Von den Feiern, die sie in ihrer Dachgeschosswohnung feierten, Feste, bei denen Geschirr zerbrach und einmal ein Tisch in Flammen aufging. Das Bild davon begeisterte Angelika noch Jahrzehnte später. Von dem Glück, sich nach Hermanns Tod ein zweites Mal verliebt zu haben.

Bunt und lustig gefiel ihr das Leben. So waren ihre Jahre als Werbefilmerin, in denen sie mit ihrer Kamera um die Welt reiste, so waren ihre Plattencover für Sony. Mitte der Siebziger musste sie ihre Arbeit in der Werbebranche aufgeben, eine neue Generation kam auf und mit ihr neue Trends. Und Angelika verdiente ihr Geld fortan als Bibliothekarin.

Parallel dazu begann sie mit der Arbeit an ihren beiden Fotobänden. „Sie malte mit ihrer Hasselblad“, sagt Frau B. Angelika spiegelte Bilder über Bilder, bis der Eindruck entstand, man könne in das Foto hineingehen und sich darin verlieren wie in einem Märchen.

Die Bilder, die ganz anders sind als ihre Plattencover, melancholischer, tiefer und poetischer, konfrontierte sie mit Textfragmenten aus Sagen, Erzählungen oder historischen Quellen. „Wachend gehen wir durch einen Traum, selbst nur ein Spuk vergangener Zeiten“, das Kafka-Zitat stellte sie ihrem Prag-Buch voran.

Frau B. erinnert sich an einen gemeinsamen Kinobesuch. Als sie das Kino verließen, hatte es geschneit. Bei diesem Anblick fing Angelika, inzwischen eine ältere Dame, an zu tanzen und hörte lange nicht auf.

„Ich hatte ein schönes Leben“, sagte sie einige Monate vor ihrem Tod. Anne Jelena Schulte

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