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Wer braucht schon Rezepte, wenn man Motivation hat?

© Kai-Uwe Heinrich

Angst, Scham und Crème fraîche: Eine Woche lang nur saisonal-regional ernähren – ein Selbstversuch

Während der Grünen Woche wollte unser Autor nur essen, was aus der Region kommt. Er scheiterte. Und lernte, warum es eine andere Agrarpolitik braucht.

1. Die Idee

Eine Woche lang will ich mich nur saisonal-regional ernähren. Es ist Grüne Woche, Essen ist politisch, Klimawandel, artgerechte Tierhaltung, Julia Klöckner sagt, der Verbraucher ist mitverantwortlich dafür, was bei ihm auf den Tisch kommt. Ich will ein mündiger Verbraucher sein – nur das kaufen, was im Januar in Berlin und Brandenburg so wächst.

Diese Art der regionalen und saisonalen Ernährung führt zu weniger Emissionen, weil ein LKW aus Görlsdorf eben weniger Benzin verbraucht als einer, der aus Spanien nach Berlin fahren muss. Und ein Apfel aus Neuseeland mit dem Flieger kommen muss, während der Apfel aus Brandenburg das Auto nehmen kann.

Genau definiert ist der Regionalbegriff nicht. Ich sage mir: Berlin, Brandenburg und Polen ist okay. Was Saison hat, beantwortet der Saisonkalender: Weißkohl, Karotte, Steckrüben, rote und bunte Bete, Champignons, Wirsing, solche Sachen. Sehr knollenlastig. Beim Obst ist die Liste unkompliziert kurz. Das Einzige, was ich essen kann, sind Äpfel, die seit dem Sommer eingelagert sind.

Essen oder nicht essen, das ist hier die Frage.
Essen oder nicht essen, das ist hier die Frage.

© Kai-Uwe Heinrich

2. Euphorie

Ich bin gut vorbereitet: In Supermärkten gibt es ja immer mehr regionales Gemüse, ich muss mir also keine Sorgen machen. Im Internet schreiben Familienblogger, sie hätten bei dem Experiment die ganze Woche durchgeplant, aber das finde ich unnötig. Ich brauche nicht groß Rezepte zu googlen, ich nehme von dem, was da ist und improvisiere dann in der Küche. Ich koche gern, ich esse alles. Gar kein Problem also. Tag eins ist ein Samstag, die Sonne scheint, ich gehe zu meinem ersten Großeinkauf: Der Ökomarkt am Chamissoplatz.

Saisonale Gemüse aus regionalem Anbau: Champignons, Kohlrabi, Karotte, Bunte Bete, Rote Bete und Weißkohl
Saisonale Gemüse aus regionalem Anbau: Champignons, Kohlrabi, Karotte, Bunte Bete, Rote Bete und Weißkohl

© Kai-Uwe Heinrich

3. Ernüchterung

Weil ich noch nichts Regionales im Kühlschrank hatte, bin ich ohne Frühstück die Dreiviertelstunde zum Markt getingelt. Ich habe Hunger. Und vor mir in der Schlange steht ein Papa, der mit dem Marktstandbetreiber darüber diskutiert, warum das Thermometer in der Kühltheke bei minus acht Grad steht. Danach ist ein Typ dran, der dem Verkäufer sein Portemonnaie anbietet, damit der entscheiden kann, ob er mit einem Fünfer zahlt oder mit Kleingeld. Und mir dann den letzten Joghurt wegkauft.

Ich kaufe am Marktstand Weißkohl, rote und bunte Beten, Kohlrabi und bunte Möhren für die Woche. Und merke erst danach, dass ich keine Ahnung habe, ob der Bauer tatsächlich aus Brandenburg kommt. Also google ich „Görlsdorf“ und bete, dass es in Brandenburg liegt. Tut es. Glück gehabt. Später merke ich aber, dass die Kohlrabi, die der Bauer aus eigener Ernte beworben hat, laut Kalender gar nicht Saison hat.

Kurz darauf stehe ich am Käsestand in einer Kreuzberger Markthalle und frage: „Haben Sie auch Käse aus Brandenburg?“ Die Käsefrau verneint. Sie erzählt, dass die Brandenburger Bauern nur wenig Käse liefern können, weil der Sommer so trocken war. Erst im Sommer gäbe es wieder was. Ich muss käselos durch die Woche.

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4. Neid

Am zweiten Tag des Experiments kocht sich meine Mitbewohnerin abends eine vegetarische Bolognese. Ich schiele neidisch in ihren Nudeltopf. Ich habe ewig keine Nudeln mit Öl mehr gegessen. Aber jetzt, wo ich nicht darf, duften sie unwiderstehlich. Ich esse meinen ofengerösteten Rosenkohl mit Joghurtdip. Als ich mir nachnehmen will, werde ich schwach. Ich greife mit der Hand in ihren Nudeltopf, nehme zwei, drei Spaghetti. Sie schmecken. Immer wenn ich am Topf vorbei gehe, greife ich wieder in den Topf. Ich sage mir: Wenn ich es nicht mit Besteck esse, zählt es nicht.

5. Scham

An Tag drei stehe im Supermarkt, als ich für mein regionales Abendessen einkaufe. Ich will Bratwurst mit Kartoffelpüree und Sauerkraut kochen. Kartoffeln aus Brandenburg: Check. Wurst vom glücklichen Brandenburger Schwein: Check. Sauerkraut aus der Region: Check. Aber dann komme ich ans Milchregal. Ich mache Kartoffelpüree normalerweise mit Crème fraîche. Doch im Supermarkt gibt es keine regionale Crème fraîche.

Ich schäme mich, dass ich so ein undisziplinierter Schnulli bin. Hier mit Kohl.
Ich schäme mich, dass ich so ein undisziplinierter Schnulli bin. Hier mit Kohl.

© Kai-Uwe Heinrich

Ich könnte mit Milch kochen, die gibt es regional. Ich stehe vor dem Regal. Ich soll ein mündiger Verbraucher sein. Ich soll Verantwortung übernehmen für mein Essen und meinen Teller, wenigstens eine Woche lang. Ich soll Julia Klöckner stolz machen, ich soll meine Ressortleitung stolz machen, ich bin streng genommen bei der Arbeit. Einerseits. Andererseits: Ich will die Crème fraîche.

Ich schäme mich, dass ich so ein undisziplinierter Schnulli bin. Dass ich wegen Crème fraîche einknicke. Dass ich nicht nach Feierabend zum Einkaufen zu Unverpacktläden nach Friedrichshain fahre, um Brandenburger Crème fraîche zu kaufen. Dass ich nicht wie die ganzen Familienblogger im Internet alle Mahlzeiten geplant habe.

Als ich zu Hause das Püree koche, schäme ich mich so, dass ich warte, bis meine Mitbewohnerin nicht in der Küche ist, bis ich die Crème fraîche zum Püree gebe. Damit sie nicht hämisch grinst und fragt: „Ist das denn regional?!“

6. Angst

Von da an geht es bergab. Morgens liege ich im Bett und habe Angst vor dem Frühstück. Weil ich keine Lust habe, schon wieder Eier mit Brot zu essen. Und mich nicht an die Haferflocken aus Westdeutschland rantraue. An Tag fünf arbeite ich bis spätabends. Ich komme an einem Späti vorbei und bekomme Heißhunger auf Kekse. Die Kekse kommen aus Hannover. Hannover liegt nicht in Brandenburg. Aber ich will die Kekse. Ich kaufe die Kekse.

7. Zweifel

Irgendwo zwischen Tag drei und fünf, zwischen der Angst und der Scham, zwischen den Keksen und der Crème fraîche merke ich, wie groß das Problem ist, das wir in Deutschland mit unseren Lebensmitteln haben. Natürlich möchte ich mich verantwortungsbewusst ernähren. Ich will nicht, dass Schweine in so kleinen Ställen leben, dass sie sich gegenseitig die Schwänze abbeißen. Ich will nicht, dass der Meeresspiegel steigt, weil ich ein Steak aus Argentinien esse.

Aber gleichzeitig will ich auch satt werden und meine Ruhe haben. Ich kann nicht überblicken, ob die Lebensmittel, die ich kaufe, nun gut oder schlecht fürs Klima sind. Auf dem Beutel meiner Brandenburger Kartoffeln steht „von hier“ auf der Vorderseite. Auf der Rückseite steht, sie seien für Edeka Hannover abgepackt worden. Heißt das, jemand hat sie von Brandenburg nach Hannover gekarrt und wieder zurück? Oder nur, dass Edeka eben in Hannover sitzt? Ich weiß es nicht.

Und das schlimmste ist: Es ist mir egal. Weil ich mich um Tausend andere Dinge kümmern muss – ich muss Texte schreiben, meine Miete bezahlen. Ich muss meine Großeltern endlich mal wieder anrufen und zum Sport. Ich esse keine Erdbeeren im Januar, aber Rucola schon. Weil er halt im Gemüseregal steht und ich auf Instagram ein leckeres Rezept damit gesehen habe. Weil ich in einem System lebe, das mir diese Produkte zur Verfügung stellt. Ich kann alles kaufen und ich bin mein ganzes Leben damit aufgewachsen, das zu können.

Ich stehe nach Feierabend im Supermarkt, ich habe Hunger und möchte nach Hause.
Ich stehe nach Feierabend im Supermarkt, ich habe Hunger und möchte nach Hause.

© Kai-Uwe Heinrich

8. Wut

Frau Klöckner pocht auf die Verantwortung des Konsumenten: Wer will, dass Tiere artgerecht gehalten werden, soll das selbst entscheiden, sagt sie. Wer die heimische Landwirtschaft unterstützen will, soll Gemüse aus der Region kaufen. Aber ich bin der Konsument. Ich stehe nach Feierabend im Supermarkt, ich habe Hunger und möchte nach Hause. Und wie mir geht es Millionen Menschen jeden Tag in Deutschland. Gegen Ende der Woche merke ich, dass es nicht meine Aufgabe sein sollte, durch den richtigen Konsum die richtigen Bauern zu fördern – weil ich gar nicht weiß, wie das geht. Und keine Zeit habe, mich damit zu befassen.

9. Satt

Für den ersten Tag nach dem Selbstversuch steht auf meiner Einkaufsliste: Parmesan, Eier, Speck, Spaghetti. Es gibt Spaghetti Carbonara. Ich kann es kaum erwarten, wieder satt zu sein.

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