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Berlin: Angst vor der ersten Klasse – bei Eltern und Lehrern

Zu viele Reformen auf einmal: frühere Einschulung, zu wenig Lehrer, kein Aufschub mehr für Spätentwickler, keine Vorklassen

Noch nie war in Berlin die Angst vor der Einschulung so groß: Viele Lehrer und Familien haben das Gefühl, dass in den ersten Klassen so viele Reformen umgesetzt werden müssen, dass die Schulen damit heillos überfordert sind.

Tatsächlich werden auf einen Schlag Neuerungen wirksam, von denen schon jede einzelne eine Herausforderung ist: Künftig werden nicht nur bereits die Fünfeinhalbjährigen eingeschult. Gleichzeitig müssen auch alle Lernbehinderten, alle Kinder ohne Deutschkenntnisse und alle Spätentwickler, die bisher zurückgestellt werden konnten, im normalen Erstklässlerbetrieb integriert werden. Der Landeselternausschuss befürchtet, dass „Kinder Schaden nehmen werden“, da die personellen Rahmenbedingungen dafür zu schlecht seien. Die CDU sprach gestern von einer „Notstandspolitik“ des Bildungssenators Klaus Böger (SPD).

Auf die Gefahr, dass der Reform- zu einem Katastrophenjahrgang geraten könnte, wird seit langem hingewiesen. Allerdings hatte Böger stets zugesagt, dass es genügend Lehrer geben würde, um die Reformen zu meistern. Danach sieht es allerdings nicht aus. „Die Sonderförderung für behinderte Schüler wird fast halbiert“, sagt Wolfgang Meinecke vom Landeselternausschuss, „schwierige Kinder laufen Gefahr unterzugehen“, weil Lehrer nicht genug Zeit für ihre Förderung hätten.

Eine Alternative haben diese Kinder nicht. Denn ab sofort gibt es an Sonderschulen für Lernbehinderte keine ersten Klassen mehr. Auch die so genannten Dehnklassen für Problemkinder wurden abgeschafft. Zudem können Kinder mangels Schulreife nicht mehr für ein Jahr zurückgestellt werden. Bisher waren das zehn Prozent eines Jahrgangs. Da dieses Jahr 37 000 Kinder eingeschult werden, sind darunter 3700, die bislang als unbeschulbar galten. Das neue Schulgesetz verlangt, sich auf diese Kinder einzustellen.

Bisher gab es für Spätentwickler als Ausweichmöglichkeit die Vorklassen. Aber auch die wurden abgeschafft – und damit auch die Möglichkeit, Ausländerkindern vor der Einschulung Deutsch beizubringen. Die CDU weist darauf hin, dass der neue Sprachkurs für Vorschüler, der zwei Stunden pro Tag dauert, keinen Ersatz für die Vorklassen bietet.

Mit Sorge wird auch der Wegfall der Ausländer-Förderklassen gesehen. Sie bestanden aus nur 15 Schülern. Künftig sind mindestens 20 Schüler zusammen. Und schließlich haben viele Schulen noch längst keine Vorstellung davon, wie sie ihre neuen Horte integrieren sollen.

Auf die Frage, ob er sein Kind jetzt gern einschulen würde, sagte Landeselternsprecher André Schindler gestern, darauf wolle er lieber nicht antworten, „um Eltern nicht den Mut zu nehmen“.

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