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Berlin: Angstschüre und Panikmache

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Die Nachricht von der Erhöhung der Gaspreise war für die Verbraucher natürlich unerfreulich. Sie ließ auch die Politiker nicht kalt. Frank Jahnke (SPD) äußerte sich in einer Parlamentsdebatte empört über die „Gasabzocke“, was auch nicht gerade angenehm in den Ohren klang. Hoffentlich hat die Aufrege niemanden um die Schlafe gebracht. Verzeihung, das ist Neusprech.

Was ist überhaupt eine „Gasabzocke“? Ich konnte dem Abgeordneten leider nicht weiter zuhören, denn ich stellte mir bildlich vor, wie die Gasag ihren Kunden das Gas aus der Tasche zieht, und zwar nach Art von Zockern, also mit faulen Tricks beim Kartenspiel. Zocken kommt aus dem Jiddischen und bedeutet ein Glücksspiel machen. Wenn schon ein drastisches Wort, dann müsste man Geldabzocke sagen.

Es ist nichts Neues, Substantive und Adjektive aus Verben abzuleiten und umgekehrt. Jeder kennt Beispiele dafür: ruhen – Ruhe – ruhig, ritzen – Ritze, sitzen – Sitz, stark – Stärke, schwach – Schwäche, Sonne – sich sonnen – sonnig, und so fort. Tiere fressen, aber sie haben keine Fresse. Auch auf der politischen Bühne ist die Fresse tabu, obwohl man dort mit Vokabeln aus der Umgangssprache und selbst aus der Vulgärsprache längst nicht mehr geizt.

Allerdings ist es Mode, Wörter zu malträtieren, indem man bedenkenlos die Endungen abschneidet. „Ich will nicht in Angstschüre und Panikmache verfallen“, betonte Anja Hertel (SPD) kürzlich vor dem Abgeordnetenhaus. Na schön, umgangssprachlich sind uns die Panikmache, die dreckige Lache, das Gemache und Getue geläufig, auch die Denke von Politikern oder die Schreibe von Autoren. Warum vor der Angstschüre Halt machen? Solche merkwürdigen Substantive mögen sich in der Umgangssprache ulkig anhören, in der Hochsprache nicht. Nein, auf Kosten des guten Stils kann keine öffentliche Rede gewitzt sein.

Ach, womöglich stolpert bald keiner mehr über die Spreche, die Verstehe oder die Gehe. Von der Esse werden wir wohl verschont, weil die Gefahr der Verwechselung mit dem Schornstein und dem Schmiedeherd zu groß ist. Hingegen ist die Feuchte im Kommen. Sie kriecht aus der Fachsprache der Meteorologen auf uns zu. Im Rundfunk höre ich neuerdings häufig Luftfeuchte statt Luftfeuchtigkeit.

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