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Berlin: Anklage wegen Mordversuchs in 37 Fällen

Bei der Eröffnung des Hauptbahnhofs hatte ein 16-jähriger Amokläufer mit dem Messer um sich gestochen

Die Anklage klingt allein schon wegen der Zahl gewaltig: Versuchter Mord in 37 Fällen. Dies wirft die Staatsanwaltschaft dem jugendlichen Amokläufer vom Hauptbahnhof vor, der im vergangenen Mai nach der Eröffnungsfeier ausgerastet ist. Laut Anklage hatte der damals 16-jährige Frank P. (Name geändert) in der Menge wahllos auf Schaulustige eingestochen, bevor er von zwei Sicherheitsleuten gestoppt werden konnte. Nur durch großes Glück wurde während des 30-minütigen Amoklaufes niemand getötet, für mindestens acht Menschen bestand nach Stichen in Bauch, Lunge oder Niere Lebensgefahr. Vermutlich wurde P. nicht vorher aufgehalten, weil viele Opfer im dichten Gedränge ihre Verletzungen nicht richtig einordnen konnten.

Einen Tag nach dem Amoklauf schockte die Polizei die Öffentlichkeit mit der schrecklichen Nachricht, dass einer der Verletzten an Aids erkrankt ist. Seitdem schwebten die Opfer zusätzlich in Angst, ebenfalls mit dem HI-Virus infiziert worden zu sein. Wie es gestern aber hieß, habe sich bislang niemand der mindestens 15 in Betracht kommenden Opfer mit der Immunschwächekrankheit angesteckt. Da die Reihenfolge der Angriffe im Detail nicht geklärt werden konnte – Frank P. war im Zickzack durchs Regierungsviertel gerannt und viele Opfer bemerkten ihre Stichverletzungen erst später –, war es für die Ärzte hinterher schwierig, das Infektionsrisiko der Einzelnen zu bewerten.

Die Ermittler haben die Nacht so rekonstruiert: Es war 22.20 Uhr, als sich am Haupteingang des Bahnhofs ein Zuschauer von dem Jugendlichen gestört fühlte, weil ihn das Licht seines Handys blendete. Nachdem er Frank P. zurechtgewiesen hatte, zog der Jugendliche sein Messer, um den Mann einzuschüchtern – dann verschwand er im Gewühl.

Um 23.20 Uhr stach Frank P. offenbar das erste Mal zu. Vorher und nachher hatte er sich boxend, tretend und schlagend durch die Menge gekämpft. Deshalb wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten auch sechs Fälle der „einfachen“ Körperverletzung vor.

Der inzwischen 17-Jährige sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Bei der Vernehmung hatte er angegeben, sich an das Geschehen nicht erinnern zu können. Sein Verteidiger verlas wenig später im Fernsehen eine Entschuldigung seines Mandanten, die der Anwalt aber nicht als Geständnis gewertet haben wollte. „Mein Mandant kann gar kein Geständnis ablegen, weil ihm alkoholbedingt die Erinnerung an die Tatzeit fehlt“, erklärte Herbert Hedrich.

Zur Tatzeit hatte P. etwa 1,5 Promille Alkohol im Blut. Medikamente oder Drogen soll der junge Neuköllner nicht eingenommen haben. Im Prozess dürften Gutachter deshalb eine entscheidende Rolle spielen: bei der Klärung der Frage, wie 1,5 Promille auf den Jugendlichen gewirkt haben. Ein Termin für den Prozessauftakt steht noch nicht fest – nur, dass er wegen des jugendlichen Alters hinter verschlossenen Türen stattfinden wird.

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