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Anonyme Bewerbungen: Personalchefs mit verbundenen Augen

Ein Bundesministerium und Unternehmen testen die anonyme Bewerbung, um Diskriminierungen auszuschließen. Was halten Sie von dieser Möglichkeit? Ein Pro & Contra.

Wer sich mit türkischem Namen um eine Stelle bewirbt, hat laut einer bundesweiten Studie um 14 Prozent geringere Chancen, zum Vorstellungsgespräch geladen zu werden, als ein Bewerber mit deutschem Namen. Bei kleineren Firmen sinken die Chancen gar um rund ein Viertel. Auch Alter, Geschlecht und Familienstand können schon eine Rolle spielen, bevor Personalleiter die Bewerber kennen gelernt haben. Im Herbst startet nun ein Modellprojekt, bei dem persönliche Vorurteile oder Vorlieben keine Rolle mehr spielen sollen: Fünf Unternehmen und das Bundesfamilienministerium testen ein Jahr lang anonymisierte Bewerbungsverfahren.

Die Initiative stammt von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Beteiligt ist das Gillette-Werk in Neukölln, das zum US-Konzern Procter & Gamble gehört. In Amerika sind weitgehend anonyme Bewerbungen längst Standard, aber auch in Deutschland hat Procter & Gamble damit bereits „gute Erfahrungen im Rahmen eines computergestützten, zentralen Bewerbungsverfahrens für Führungsnachwuchskräfte“ gesammelt.

Vielfältigkeit und Integration seien der „Schlüssel zum Geschäftserfolg“, sagt eine Sprecherin. Deshalb wolle man die Methode jetzt erproben. Das Familienministerium möchte in seiner Personalstruktur die „Vielfalt in der Gesellschaft abbilden“. Die Anonymität sei geeignet, um „bewusste oder unbewusste Benachteiligungen bestimmter Personengruppen“ zu vermeiden, heißt es.

Am Projekt beteiligen sich auch die Post, die Telekom, der Kosmetikkonzern L’Oréal und ein Online-Geschenkedienst. Dagegen plant Berlins Innenverwaltung keine anonyme Bewerbungen bei Ämtern, Polizei und Feuerwehr. Die Auswahl „erfolgt ohnehin nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Bestenauslese“, argumentiert Sprecherin Isabelle Kalbitzer. Außerdem würden beispielsweise Frauen vom Senat nicht benachteiligt, sondern besonders gefördert. Dasselbe gelte für Menschen mit Migrationshintergrund, deren Anteil im öffentlichen Dienst erhöht werden solle.

„Uns geht es darum, ein in anderen Ländern schon verbreitetes Verfahren zu testen“, sagte Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle. Ähnliche Modellprojekte gebe es in Schweden, Frankreich, Belgien, der Schweiz und Großbritannien. Über die Details der Bewerbungsverfahren wird noch beraten. Das beteiligte Institut zur Zukunft der Arbeit empfiehlt ein standardisiertes Bewerbungsformular ohne persönliche Angaben. Damit ließe sich der Aufwand für das nachträgliche Anonymisieren vermeiden. Institutsleiter Klaus Zimmermann kritisiert Diskriminierungen als „Verzicht auf wirtschaftliche Effizienz“. Wegen des Fachkräftemangels müssten Firmen „ihre personellen Ressourcen künftig besser ausschöpfen“.

So sieht es auch die Bundesagentur für Arbeit, die es in ihrer Jobbörse ab Mitte 2011 ermöglichen will, die „Übermittlung von Alter und Geschlecht zu verhindern“. Gerade ältere Bewerber hätten immer noch schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Die Industrie- und Handelskammer Berlin teilt die Haltung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Dort zeigt sich Arbeitsrechtsexpertin Hildegard Reppelmund skeptisch. „Bewerbungen müssen aussagekräftig sein, man kann nicht jeden einladen.“ Besonders in kleinen und mittleren Betrieben „würde es Umsetzungsprobleme geben“. Man habe nichts gegen Pilotversuche, lehne „gesetzlichen Zwang“ jedoch ab. Darum geht es bislang allerdings auch gar nicht: „Wir setzen auf Überzeugung und Freiwilligkeit“, betont die Antidiskriminierungsstelle, und das Institut zur Zukunft der Arbeit fände ein Gesetz „zu weitreichend“. Cay Dobberke

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