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Respekt und Toleranz. Das sind die beiden Schlüsselbegriffe, deren Bedeutung Carsten Stahl den Schülern in seinen Kursen nahe bringen möchte.

© Thilo Rückeis

Anti-Mobbing-Kurse in Berlin: Versprichst du mir, dass du dein Leben änderst?

Carsten Stahl ist Schauspieler, Personenschützer und Detektiv. In Berlin gibt er Schülern Anti-Mobbing-Kurse. Das ist dringend nötig.

Er sitzt vorne im Klassenraum, das Basecap auf dem Kopf, in Jogginghose und Kapuzenjacke. 15 Jahre ist er alt, und schon um neun Uhr morgens wirkt dieser Junge wie das personifizierte Desinteresse an allem, was mit Schule zu tun hat: hingegossen auf den Stuhl, den Kopf auf eine Hand gestützt, der Blick auf endlos. Dabei weiß er, dass er gleich einen Mann erleben wird, der für Jungs eine Art Held darstellt. Der Junge kennt den Mann aus dem Privatfernsehen, aus der Action-Serie „Privatdetektive im Einsatz“.

Der Mann heißt Carsten Stahl. Er war Schauspieler, aber auch Personenschützer und Privatdetektiv. Seit knapp zwei Jahren macht er etwas, das ihm viel wichtiger als das Fernsehen geworden ist – Anti-Gewalt- und Anti-Mobbing-Training mit Jugendlichen. Der Name des Jungen in der Jogginghose tut nichts zur Sache, er soll hier Murat heißen. Murat gehört zu der kleinen Gruppe, die zwei Mädchen aus der Klasse das Leben schwermachen.

Sie alle besuchen die Hedwig-Dohm- Schule in Moabit. 12 Jugendliche aus der 8. Klasse, sieben davon Mädchen, warten auf den Anfang des Anti-Mobbing-Seminars. Auch Schulleiter Josef Widerski ist dabei, ein freundlicher älterer Mann. Die Polizei habe er selten im Haus, sagt Widerski. Wenn es Probleme gebe, dann vor der Tür, auf dem Stephansplatz. Die meisten Schüler, die hier auf den Mittleren Schulabschluss hinarbeiten, haben einen Migrationshintergrund. Bei Konflikten, so Schulleiter Widerski, gehe es immer um die Ehre der Familie.

„Er kommt und geht, wann er will“

Murats Familie sei für den Jungen ein Problem, sagt der Schulleiter – er macht offenbar lieber einen auf Einzelkämpfer. „Er kommt und geht, wann er will“, sagt Widerski. Murat hat die Probleme mit sich, die vielen Jungs in seinem Alter zu schaffen machen – und damit auch ihren Mitmenschen: keine Orientierung, kein Halt, ein Opfer unguter Umstände, für die er nichts kann. Das lässt er an anderen aus, die er zum Opfer machen kann.

Carsten Stahl sieht sich durch den Münchner Massenmord von Ende Juli bestätigt. Ein gemobbter Junge, aufgeputscht von Ballerspielen am Computer, ein typisches Beispiel für die „Jungenkrise“, über die der Soziologe Walter Hollstein vor Kurzem im Tagesspiegel geschrieben hat. Jungs brauchten Väter und Vorbilder, sagt Stahl. „Ich habe 35 Jahre gebraucht, um mein Leben zu ändern.“ Für die, die ihm in seinen Kursen zuhörten, sei er „‘ne Art Feuerlöscher“.

Unter Berliner Schulleitern hat er es zu einer gewissen Bekanntschaft gebracht, inzwischen hören ihm auch Berliner Politiker zu. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Florian Graf hat schon mal ein Anti-Mobbing-Seminar besucht, heute ist der SPD-Abgeordnete Rainer-Michael Lehmann dabei. Stahl verspricht den Mädchen und Jungen zur Begrüßung für die nächsten Stunden „eine Achterbahn der Emotionen“. Eine der ersten Fragen ist, wer ihm morgens im Fernsehen zugeschaut habe. Eine Menge Finger gehen hoch – ein Hinweis darauf, womit der Tag für die Jugendlichen begonnen hat. Dann sagt Stahl, ein Hüne, 110 Kilo schwer: „Ich bin hier bestimmt nicht, um mit euch über diese verkackte Sendung zu sprechen.“

Niemand ist frei von Schuld

Die Sendung, einfaches Reality-Fernsehen, ist für ihn „Segen und Fluch zugleich“, wie er sagt. Sie hat ihn zu einer Marke gemacht, aber sie hat ihn auch in ein Klischee gepresst. Carsten Stahl ist der Typ mit der lauten Stimme, der Neuköllner Ausdrucksweise und dem robusten Auftritt, bis hin zur Nahkampf-Einlage – im Privatfernsehen. Diese Sendung, die in einer Art Endlosschleife ständig wiederholt wird, bahnt ihm auch den Weg zu einer bestimmten Art von Jugendlichen. Ein Mädchen kommt, es ist halb zehn. Stahl fragt sie, warum sie zu spät komme. Sie lächelt: „Ich habe zu lange gebraucht, um mich fertig zu machen.“

Stahls Konzept hat etwas Konfrontatives: Er will zeigen, woher Respektlosigkeit kommt und das Ausgrenzen, er will die Jugendlichen daran erinnern, dass sie beides gelernt haben, binnen kurzer Zeit und eher nebenbei. Mit den Worten geht es los. „Ich kenne die Sprache der Straße“, sagt Stahl und lässt die Jugendlichen der Reihe nach die schärfsten Beleidigungen aufzählen. Am Anfang steht der „Hurensohn“, Stahl listet die Wort-Waffen mit Kreide an der Tafel auf. „Arschloch“, sagt der nächste – „der Klassiker“, kommentiert Carsten Stahl, es folgen „Schlampe“ und „Opfer“. Wer an Gott glaube, fragt Stahl jetzt – die Hälfte der Gruppe hebt den Finger. Stahl sagt, dass sie alle „frei von Schuld“ gewesen seien „am Anfang eures Lebens“ und fragt, wer jetzt noch frei von Schuld sei. Niemand meldet sich.

So nimmt er die Jugendlichen mit auf die Achterbahn. Was er angestellt habe, „passt auf keine Scheißhausrolle“, sagt er jetzt und zieht den Gedankenkreis etwas weiter. Es geht um „Respekt“, noch so ein Begriff, mit dem jeder etwas anfangen kann. Er habe mit dem Fernsehen aufgehört und nicht etwa beim „Dschungelcamp“ mitgemacht, wegen seiner Kinder. Die würden „ausgelacht und gemobbt“, wenn ihr Vater im Fernsehen beschämende Rollen spielen würde. Das versteht jeder. „Wem schuldet man Respekt?“, fragt Carsten Stahl, und Murat sagt: sich selber. „Was denken deine Eltern, wenn die Polizei kommt?“, fragt Stahl, und Murat sagt: „Da ist etwas falsch gelaufen...“ „Was bedeutet Toleranz?“, fragt Stahl, und Murat sagt: „Man respektiert einen, wie er ist.“ „Ihr schreit euch mit diesen Worten an“ – er zeigt auf die lange Liste an der Tafel – „und macht das so, dass die Kleinen das hören – ist das cool?“, fragt Stahl.

Kein Opfer mehr sein

Stahls Stärke ist nicht allein seine Präsenz. Er hat den Jugendlichen Ehrlichkeit versprochen. Prominent mag der Mann sein, eitel ist er nicht. Er zieht den nächsten Gedankenkreis – wie es ist, Gewalt zu erleben, und er zieht diesen Kreis um das eigene Leben. Wie er als Junge regelmäßig Prügel bezogen habe, wie er gedemütigt worden sei in seiner Neuköllner Jugend – und wie er sich irgendwann, in einem vulkanischen Wutausbruch, mit einer Eisenstange gewehrt habe. Wie dann, gewissermaßen in einer Wende vom Opfer zum Täter, alle Hemmungen gefallen seien. „Man will nie wieder ein Opfer werden! Dann rutscht man ab, und man wird älter.“ Er spricht davon, wie man erst ein bisschen, dann ein bisschen mehr kriminell wird, und seine Zuhörer können sich angesichts dieses 190 cm hohen Kraftpakets vorstellen, wie er sich Respekt erkämpft hat. Und auch auf diese Gedankenreise nimmt er diese Jugendlichen mit: Für jeden, der kriminell werde, gebe es eine „goldene Regel“, sagt Carsten Stahl: „Weg von der Familie. Nie verlieben. Nie Kinder.“ Und man hat das Gefühl: Sie verstehen ihn. Familie, Liebe, Kinder – das ist sehr nah dran am Schülerleben.

Der Rest seiner Geschichte ist schnell erzählt. Carsten Stahl sagt, erst die Geburt seines Sohnes habe ihn dazu gebracht, sein Leben zu ändern. Jetzt sind die Jugendlichen wieder dran. „Was müssen die tun, damit ihr sie akzeptiert?“, fragt er Murat und seine Sitznachbarn, die keinen Hehl daraus machen, dass sie die beiden Außenseiterinnen der Klasse nicht achten.

"Versprich mir, dass du dein Leben änderst?"

Eigentlich macht Carsten Stahl so etwas wie Old-School-Psychologie: Er packt die Jungs bei ihrer Männlichkeit. Er spricht Murat an und sagt: „Du kannst mit deinem Verhalten die Klasse steuern. Auf deine Ehre und für deinen Vater: Versprichst du mir, dass du dein Leben änderst? Gib' mir nicht die Hand, wenn du es nicht ernst meinst.“ Murat schlägt ein. Dann versprechen er und andere den beiden gemobbten Mädchen Besserung.

Carsten Stahl setze auf „emotionale Überrumpelung“ der Jugendlichen, sagt ein Pädagoge während der Veranstaltung, „aber er erreicht sie auf jeden Fall“. Schulleiter Widerski findet Stahls Ansatz interessant. Es gehe doch darum, dass „die Schüler ins Nachdenken kommen“, sagt Widerski. Mobbing sei an der Schule ein „starkes Thema – da läuft jede Menge“. Weniger in als vor der Schule gehe es den Jugendlichen „ganz, ganz viel um die Ehre“, sagt Widerski. In der Schulverwaltung ist Stahls Ansatz durchaus umstritten. Für sensible Schüler sei er nicht geeignet, heißt es, seine Heftigkeit könne da schaden. Doch gibt es Schulpsychologen, die Stahls Ansatz für empfehlenswert halten. Carsten Stahl trete konfrontativ, aber sachlich auf und schaffe es, die Schüler zum Nachdenken zu bringen, heißt es im Gutachten eines Schulpsychologen.

Im Abgeordnetenhaus halten sie Stahls Ansatz für unterstützenswert. Sein Projekt „Camp Stahl“ wird dem CDU-Haushaltspolitiker Christian Goiny zufolge mit 50 000 Euro jährlich gefördert. Stahl will sein Projekt ausweiten. „Im Endeffekt mache ich nicht mehr, als Räume zu öffnen“, sagt er – Räume, in denen Schulpsychologen und Lehrer weiter arbeiten können.

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