zum Hauptinhalt

Antigewalttraining: Erst Hool, dann cool

Das Jobcenter Spandau trainiert gewaltbereiten Jungs die Schlägermanieren ab. Viele haben dann sogar Chancen auf eine Ausbildung.

Thomas steht keine Sekunde still. Als er im Schatten des Jugendclubs seine Geschichte erzählt, scheint er das Innere eines unsichtbaren Käfigs abzulaufen, hin und her. Im Coolness-Training mussten sie sich mal jeder ein Tier zuschreiben, Thomas hat den Silberrücken, also einen mächtigen Gorilla, gewählt – das passt. Ein bulliger Typ, 20 Jahre alt, mit kurz geschorenen Haaren, kräftigem Hals und markanter Augenpartie. Der junge Spandauer hat schon oft zugeschlagen, nur diese Sache mit dem Stiefvater, die verzeiht er sich nicht. Sicher, sagt Thomas, der Kerl hatte mal Prügel verdient, aber seine Mutter stand daneben. „Und ich habe nicht mehr aufgehört zu schlagen.“ Thomas war damals 19 und der arbeitslose Kraftfahrer danach reif fürs Krankenhaus.

Solche Geschichten können die Jungs, die sich jetzt im Probenraum des Jugendclubs in einen Kreis setzen, fast alle erzählen: Boris, Ümüt, Kevin, Wadim, Hasan, Micke. Der Jüngste von ihnen ist 16, der Älteste 24, sie haben deutsche, türkische oder polnische Eltern und alle keine Ahnung, wie es sich anfühlt, jeden Morgen aufzustehen, um zur Arbeit zu gehen. „Kunden mit multiplen Vermittlungshemmnissen“, nennt Karin Zeuger ihr Klientel im Behördenjargon. Karin Zeuger ist Fallmanagerin im Jobcenter Spandau und will ihren echten Namen auch nicht in der Zeitung lesen. Sie ist 36 Jahre alt, trägt ihr braunes Haar schulterlang und ist am Brunsbüttler Damm für 75 der rund 300 schwierigen Fälle unter 25 Jahren zuständig. In ihr Büro kommen Jugendliche, deren Arbeitslosigkeit zuweilen noch das geringste Problem zu sein scheint – angesichts ihrer psychischen Probleme, Vorstrafen, Schulden, Drogensucht, mangelnden Deutschkenntnisse, familiären Krisen …

Oder eben der Gewalt. Bei Thomas & Co sei bislang an eine Ausbildungsstelle nicht zu denken gewesen, sagt Karin Zeuger. Weil die Jungs regelmäßig ausrasteten, sobald ihnen jemand komisch kam oder auch nur frech guckte. Im vergangenen Februar kam das Jobcenter Spandau auf die Idee, das Antigewaltzentrum zu beauftragen. Als vor gut vier Monaten das „Coolness-Training“ in dem Staakener Jugendclub begann, waren sie noch ein Dutzend, sieben von ihnen haben durchgehalten – und die Fallmanager wundern sich jede Woche etwas mehr. „Wir sind begeistert, wie sich die Teilnehmer in dieser Zeit entwickelt haben“, sagt Karin Zeuger. Vier der Kandidaten haben bereits einen Monat vor Trainingsende den Zuschlag für eine überbetriebliche Ausbildung erhalten. Thomas fängt am 1. September als Fahrradmechaniker an.

Obwohl ihm „irgendwas mit Musik“ natürlich lieber gewesen wäre. Auf seinen Unterarm hat sich der Hüne in großen Lettern seinen Künstlernamen eintätowieren lassen: Bonek, der Straßenrapper. Im Internet kann man sich die Songs seiner Band „AKL Berlin“ anhören und etwas über den Alltag in „Staakenhood“ erfahren. „Ich bin Hooligan und ficke euer Leben“, heißt es da, es ist noch eine der harmloseren Zeilen. Im Antigewaltseminar haben sie Bonek eine „Wiedergutmachungsaufgabe“ erteilt: Er soll ein Lied schreiben, das vom Frieden und von der Liebe handelt. „Ist schon im Studio und wird abgemischt“, verkündet Thomas im Rund der Stühle. Die anderen tun sich etwas schwerer: Ümüt muss einen Liebesbrief an sich selbst schreiben und Kevin demnächst ein Gedicht von Schiller auswendig aufsagen.

Das Härteste im Training haben die Sieben hinter sich: die Biografie und den „heißen Stuhl“. Da haben sie einer nach dem anderen ihre Kindheit abgearbeitet, ihre Gewaltkarriere, ihre schlimmste Tat und ihre schlechtesten Eigenschaften. „Danach hatten wir teilweise selber einen Kloß im Hals“, sagt Antiaggressionstrainer Mark Zimmermann. Weil Kindheit eben auch blanken Horror und Gewalt unveränderlichen Alltag bedeuten kann. Dabei sind Zimmermann (42) und sein Kollege Bastian Carl (32) einiges gewohnt: Sie haben im Jugendkrisendienst Spandau gearbeitet, in der Jugendsuchthilfe und im Jugendknast. „Die Jungs definieren sich und ihr Selbstbewusstsein über Gewalt“, sagen sie. Wenn man ihnen das im Training nehme, bleibe: nichts. „Darum müssen wir auch schnell in Richtung Wachstum gehen.“

Die beiden Trainer erhalten von ihrer Gruppe das Prädikat: voll okay. Auf dem Programm stehen in den nächsten Wochen noch Deeskalations-, Schauspiel- und Flirttraining, heute ist „Gehirnjogging“ angesagt. Das Ich-packe-in-den-Koffer-Spiel fällt etwas ungewöhnlich aus – nicht nur, weil sich jeder einen Finger in dem Mund stecken muss, damit es ganz besonders dämlich klingt: „Üsch packsche in mein’ Kophfa“. Auch die Reiseutensilien kennt man sonst eher nicht von dem Kinderspiel: „Meine K1X-Schuhe, mein Bong, meinen Totschläger, meine Blättchen, meinen Tabak …“, zählen die Jungs nacheinander auf.

Gerade das, was am leichtesten aussieht, zählt für die Jungen im Training zu den höchsten Hürden, und deshalb erteilen die Trainer an jedem Donnerstagnachmittag eine Lektion im Sich-ulkig-Benehmen, ganz nach dem Motto: „Wenn ich souverän bin, kann ich die unsinnigsten Sachen machen und blamiere mich trotzdem nicht.“ Egal, ob man mit dem Hintern wackelt oder beim Tiefatmen das Chi gegrüßt. Dann könne man sich auf der Straße sogar einfach umdrehen, lächeln und weggehen, wenn einem einer komisch kommt. „Alte Verhaltensmuster aufbrechen, neue erlernen“, nennen die Pädagogen das.

Thomas trägt extra weite Jeans, ein schwarzes Hemd mit vielen weißen Schriftzügen, dazu offene Turnschuhe. Tagsüber hängt er mit seinen Kumpels meist in einer Neubausiedlung in Staaken oder in der Koloniestraße in Wedding ab. „Ein echtes Kind der Straße“, sagen die Trainer. Thomas’ Mimik lässt schon bei der ersten Figur keinen Zweifel aufkommen: Qigong ist oberätzend. Er hat sich eher aus taktischen Gründen auf das Seminar eingelassen. Er will, dass das Jobcenter ihm eine Wohnung bezahlt, und außerdem stehen da noch die zwei Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung an, wo er mit so einem Antigewaltseminar auch punkten könnte. Alles andere habe ihn dann auch überrascht. „Das gleicht mich aus, ich fühl’ mich besser, irgendwie lockerer“, sagt Thomas. Er steckt sich eine Zigarette an, in den Ohren stecken die Stöpsel seines MP3-Players.

Manche würden an dem Job von Karin Zeuger vermutlich verzweifeln. Sie hat gelernt, sich über auch über „ganz kleine Kleinigkeiten“ zu freuen. Wadim, 20 Jahre, ist auch so ein Fall. Zeuger sagt, dass der junge Mann Anfang des Jahres noch zusammengesackt vor ihr gesessen, sie kaum angeschaut, leise vor sich hingenuschelt habe. Jetzt wirke er selbstbewusster, wisse, was er wolle, plane seine Zukunft und könne auch um Hilfe bitten. „Durch das Projekt ist er ausbildungsfähig geworden“, sagt Zeuger. Und sie klingt dabei fast ein bisschen stolz.

Spandau steht mit seinen Problemen nicht allein da: Rund 25 000 Arbeitslose unter 25 Jahren gibt es in Berlin und die Jobcenter wissen längst, dass man nicht bei allen mit Computerkursen und Bewerbungstrainings weiterkommt. Für ihre schwierigsten Fälle suchen inzwischen auch andere Jobcenter nach neuen Wegen. So gibt es in Kreuzberg-Friedrichshain beispielsweise das Projekt „Punks and Dogs“, wo Jugendliche ihre Hunde mit in die Werkstatt bringen dürfen. Neukölln schickt die schwersten Problemfälle ins „Päd-Camp“, wo sie lernen sollen, was Tugenden wie Pünktlichkeit, Höflichkeit und Zuverlässigkeit bedeuten – mit eher mäßigem Erfolg. 400 Jugendliche haben das Projekt angefangen, die Abbrecherquote ist hoch, die Erfolgsquote gering: Nur zehn Prozent haben einen Job oder eine Lehrstelle bekommen.

Das Antigewaltzentrum in Zehlendorf kann offenbar eine etwas höhere Erfolgsquote aufweisen. „Über 60 Prozent der Teilnehmer verändern ihr Verhalten nachhaltig“, sagt Lars-Oliver Lück, der das Zentrum im März 2003 gegründet hat. Früher seien er und seine Trainer vor allem von Oberschulen gebucht worden, inzwischen bitten aber auch zunehmend Grundschulen um Hilfe.

Ob das Jobcenter Spandau sein Antigewaltprojekt aufstocken wird, ist noch offen. Vielleicht hängt das ja auch davon ab, wie sich die Jungs in ihrer Ausbildung machen. Wer den Plaudereien in der Pause lauscht, weiß, dass vor ihnen noch jede Menge Arbeit liegt: Wo iss’n dein Handy? – Hat das LKA eingezogen. – Weißt du, ob André gerade sitzt? – Nee, wir haben nächste Woche zusammen Gerichtsverhandlung.

Nur fünf Minuten später, als es im Probenraum gilt, mit Tempo Logikaufgaben zu lösen, sitzen genau diese schweren Jungs zappelnd da, reißen die Hände hoch und schnipsen aufgeregt mit den Fingern. „Hey, Thomas, du bist ja richtig gut“, sagt Bastian Carl vorne an der Tafel. Er lobt lieber einmal zu oft, denn von ihren Eltern und Lehrern haben die Jungs in letzter Zeit selten Nettes gehört. Nach der Schlägerei mit seinem Stiefvater ist Thomas zu Hause rausgeflogen, seitdem schlägt er sich so durch, schläft mal bei Freunden, mal bei seiner Schwester. Jetzt hat er sein altes Leben satt, man kann es sogar hören: „Ganz egal, wo ich jetzt steh’. Ich seh’ nach vorne, geh’ mein Weg“, singt Bonek in seinem neuesten Werk. Vielleicht hat er den Song ja ins Netz gestellt (www.akl-berlin.com), um mit den sanften Tönen Jugendrichter, Jobcenter und die Trainer zu narren. Vielleicht meint er es auch ernst. Auf jeden Fall klingt „Mein Weg“ ziemlich gut.

Namen der Jugendlichen geändert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false