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Berlin: Antisemitismus oder „Ausrutscher aus Dummheit“?

Glietsch drängt auf schnelle Klärung der Vorfälle an der Polizeischule Ruhleben

Die Polizeiführung will jetzt die Hintergründe der antisemitischen Äußerungen von Polizeischülern in Ruhleben aufklären und gegebenenfalls dienstrechtliche Konsequenzen ziehen. Wie bereits gestern berichtet, hatten einige Schüler einer Klasse der Polizeischule in einer Diskussion mit dem Zeitzeugen Isaak Behar geäußert, dass sie nicht dauernd an den Holocaust erinnert werden wollten, damit hätten sie nichts zu tun. Außerdem seien in der Diskussion Sätze gefallen wie „Juden sind reich“. In Einzelgesprächen mit der Klasse und dem Lehrer soll jetzt geklärt werden, welche Äußerungen wie gefallen sind. Die Polizeischüler sind seit einem guten halben Jahr in der Ausbildung zum mittleren Dienst.

„Wenn sich herausstellen sollte, dass bei jemanden hinter den Äußerungen eine manifeste Fehleinstellung zum Holocaust, dem Nationalsozialismus und dem Rechtsextremismus steht, dann bedeutet dies, dass derjenige bei der Polizei nichts zu suchen hat“, sagte Berlins Polizeipräsident Glietsch. Es könne aber auch sein, dass sich jemand in der Hitze der Diskussion zwar in „nicht tolerierbarer und inakzeptabler Weise geäußert“ habe, ansonsten diese Meinung aber nicht vertritt. Um diese jungen Menschen müsse man sich dann kümmern. Auch ein anderer hochrangiger Beamter aus der Polizeiführung sagt: „Wer so eine Einstellung hat, ist als Beamter ungeeignet.“ Strafrechtlich seien die bislang bekannt gewordenen Äußerungen nicht von Relevanz. Prüfen müsse man jetzt, ob die Äußerungen „Ausrutscher aus Dummheit“ oder „gefestigtes Gedankengut“ zu werten seien.

Bei der Ausbildung von angehenden Polizisten muss man nach Auffassung des Polizeipräsidenten andere Maßstäbe ansetzen als in anderen Berufen. „Wir erwarten von einem Polizisten, dass er mit Überzeugung gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vorgeht“, sagte Glietsch. Das könne er aber nicht, wenn er die Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust verweigert. Außerdem stelle ein Satz wie „Alle Juden sind reich“ die Wiederholung eines klassischen antisemitischen Vorurteils dar, sagte Glietsch. Nach seinen Angaben gibt es auch an der Polizeischule immer wieder einmal Vorfälle, in denen Defizite der Auszubildenden auch in der politischen Bildung deutlich würden. Einen solch massiven Vorfall habe es allerdings bisher nicht gegeben. Glietsch erwartet bis zum 20. April einen Bericht der Verantwortlichen der Polizeischule. Auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) fordert eine umfassende Aufklärung.

Von Polizeibeamten müsse man im besonderen Maße erwarten, dass sie rechtsstaatlich und demokratisch gebildet sind, sagt Oesten Baller, Prorektor an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, an der auch angehende Kommissare ausgebildet werden. In Konfliktfällen müsse man sich auf ihre erhöhte Objektivität verlassen können. Generell haben laut Baller Beamte eine „Treuepflicht zum deutschen Staat“ und sind verpflichtet, die Prinzipien des Staates offensiv zu vertreten. Seine Studenten – Aufstiegsbeamte aus dem Polizeidienst – hätten sich schockiert über die Äußerungen in der Polizeischule gezeigt.

Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Nationalsozialismus ist Bestandteil des Unterrichts an der Polizeischule. Wie der Leiter der Abteilung politische Bildung, Harold Selowski, sagt, stehen für das Thema Rassismus, Antisemitismus zehn Stunden zur Verfügung. Außerdem besuchen die Polizeischüler das KZ Sachsenhausen. Auch die Diskussion mit einem Zeitzeugen steht auf dem Ausbildungsplan. Seit 1993 kommt der 83-jährige Isaak Behar zu den Projekttagen in die Polizeischule; er ist auch Dozent bei der Bundeswehr. Behar hat als einziger seiner Familie den Holocaust überlebt und die Erlebnisse in seinem Buch: „Versprich mir, dass du am Leben bleibst“, geschildert. Einzelheiten über die jetzigen Vorfälle wollte er auf Anfrage nicht nennen. Gestern war er wieder in der Polizeischule – bei einer anderen Klasse: „Wir haben sehr angeregt diskutiert.“

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