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Berlin ist kacke. Das findet zumindest so mancher Fußgänger angesichts der vielen Hundehaufen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Antwort auf Boris Johnson: Berlin, perfectly ungehobelt

Berlin ist toll und entspannt? Von wegen! Unsere Hauptstadt leidet unter S-Bahnchaos, despotischen Fahrradfahrern und Hundekot. Ein Berliner in London antwortet auf Boris Johnsons Liebesbrief.

Ist das nicht schön hier? Niedrige Mieten, ein Paradies für Fahrradfahrer, überhaupt Rücksicht im Straßenverkehr und ein entspanntes Verhältnis zur Freikörperkultur. Könnte es woanders entspannter sein? So jedenfalls schrieb es Boris Johnson in seinem Liebesbrief an Berlin aus London. Dabei weiß doch jeder Bewohner und Besucher unserer Hauptstadt, dass hier nicht alles so „perfectly wunderbar“ ist, wie es uns der Londoner Bürgermeister glauben machen will.

Fangen wir mit dem Wichtigsten an: In einer Großstadt ist Mobilität alles. In Berlin offenbar nichts.

Ist kein Totalversagen schon ein Erfolg?

Es ist jedenfalls zu bezweifeln, dass Johnson je Bekanntschaft mit der Berliner S-Bahn gemacht hat, denn das mittlerweile vier Jahre andauernde Transportchaos ist längst zur schlechten Gewohnheit geworden. So richtig sicher kann man sich eigentlich nie sein, ob die Bahn tatsächlich kommt. Immerhin hat der Berliner Schienenverkehr den letzten Winter ohne einen Zusammenbruch überstanden – aber zählt das etwa schon als Erfolg?

Ein Blick über den Ärmelkanal offenbart ganz andere Verhältnisse, auf die wohl jeder von Verspätungen geplagte Berliner neidisch ist. In London fährt die altehrwürdige Tube zuverlässig je nach Linie alle drei bis fünf Minuten – und das nicht nur unterirdisch. Die Berliner S1 dagegen fuhr gestern im Norden zwischen Birkenwerder und Schönholz zeitweise nur jede Stunde – statt alle zehn Minuten. An der S-Bahn nimmt sich Herr Johnson also hoffentlich kein gutes Beispiel.

Der Fahrradfahrer: ein despotischer Diktator

Wer nun angesichts der desolaten Zustände auf der Schiene auf die Straße ausweicht und lieber das Auto nimmt, macht neben zahlreichen Schlaglöchern auch Bekanntschaft mit einer weiteren unangenehmen Erscheinung: dem Berliner Taxifahrer. Rein subjektiv betrachtet scheint niemand so gerne auf der Autobahn zu schneiden, Geschwindigkeitsbegrenzungen zu überschreiten und im Straßenverkehr zu drängeln wie er. Von umgänglichen Autofahrern findet sich in Berlin sowieso kaum eine Spur. Hier wird gehupt, gelästert, geschoben. Auch die hiesigen Fahrradfahrer kennen in den seltensten Fällen Rücksicht oder Mitleid. Boris Johnson sieht den Fahrradfahrer in Berlin als König, oftmals verhält er sich allerdings wie ein despotischer Diktator.

Vielleicht hat die Schnoddrigkeit auf zwei oder vier oder noch mehr Rädern ja aber einfach mit der berühmt-berüchtigten Berliner Schnauze zu tun. Von Nicht-Berlinern oft als Unhöflichkeit empfunden, ist sie doch letzten Endes nichts anderes als eine sehr direkte Art der Kommunikation. Und ein hörbares Zeichen für die innige Selbsthassliebe der Berliner.

Sauberkeit hat ihren Preis

Die dreiste Direktheit zeigt sich auch an quasi jeder anderen Stelle. Denn fast überall wird einfach Müll hingeworfen oder liegen gelassen, wo er entsteht. Manche Straßen und Gehwege gleichen einem Minenfeld aus Hundekot. Kein Wunder, dass die Senatsverwaltung jetzt die Einführung einer „Gassibeutelpflicht“ für Hundehalter prüft. Aber eigentlich weiß auch jetzt schon jeder, dass diese sowieso nicht durchgesetzt wird. Dass Sauberkeit auch einen hohen Preis haben kann, demonstriert allerdings gerade London.

Dort präsentieren sich die Parks selbst im besten Sommer immer gepflegt und müllfrei. Die Konsequenz aber ist, dass alle Parks spätestens bei Sonnenuntergang abgeriegelt werden. Die laue Sommernacht im Grünen genießen? In London ein Ding der Unmöglichkeit.

Trotzdem: Berlin bleibt lebens- und liebenswert

Berlin ist unzulänglich, viel unzulänglicher als Boris Johnson glaubt. Vielleicht hängt das mit der einzigartigen Entspanntheit zusammen, die unsere Stadt tatsächlich lebenswert macht. Ohne offene Parks wäre der regelmäßige Geschlechtsverkehr im Grünen, den Boris Johnson den Berlinern unterstellt, wohl kaum möglich. In einem Punkt hat Londons Bürgermeister also definitiv recht: Berlin ist eine Stadt zum Verlieben.

Der Autor ist 21 Jahre alt und gebürtiger Berliner. Seit 2012 studiert er am University College in London - und will dort auf jeden Fall bis 2016 bleiben.

Torben David

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