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Anwohner vs. Clubbesitzer: Wer muss Berlins Lärm ertragen?

Stadtplaner, Mediaspree-Gegner und Kolumnist Harald Martenstein diskutierten in der Urania über zunehmende Lärmbelästigung, neue Architekturprojekte und Transparenz.

Eigentlich sind sich doch alle einig: Berlin soll lebendig, quirlig und laut sein, auch bis in die frühen Morgenstunden geöffnete Diskotheken gehören zu einer Großstadt. Auch dass Berlin einen Flughafen braucht, und dass Kinder auf Spielplätzen schreien dürfen, darüber besteht breiter Konsens – aber das alles soll eben nicht vor der eigenen Haustür stattfinden. Da soll es bitteschön ab 22 Uhr ruhig sein, feiern können die Nachtschwärmer ja woanders, ist die Meinung von vielen Anwohnern, die sich um ihre Nachtruhe sorgen. In attraktiven Kiezen wie rund um die Kreuzberger Oranienstraße nehmen die Konflikte zwischen Anwohnern, Clubbetreibern und Investoren zu.

Dort konnte der alteingesessene Club SO36 gerade noch gerettet werden, musste aber für den neuen Mietvertrag eine Lärmschutzwand für 100 000 Euro einbauen. Und in Prenzlauer Berg musste der traditionelle Knaack-Club schließen. Nach sieben Jahren war für die Strandbar „Kiki Blofeld“ in Mitte Schluss, dort sollen sechsgeschossige Wohnhäuser entstehen. Erst vor einigen Wochen veröffentlichte der Senat eine Liste, auf der 15 Locations als bedroht angesehen werden. Sechs Clubs sind wegen Plänen der Eigentümer an ihrem Standort gefährdet, neun sind von Anwohnerbeschwerden betroffen. Auch die Kulturbrauerei steht auf der Liste. Die Clubs in der Brauerei planen jetzt einen besseren Lärmschutz.

Wo aber liegen in innerstädtischen Bezirken die Grenzen für die einzelnen Beteiligten? Und ist das vorhandene Planungsrecht noch zeitgemäß oder brauchen wir mehr Bürgerbeteiligung bei großen Bauvorhaben wie der Mediaspree in Friedrichshain-Kreuzberg?

Unter dem Titel „Nicht vor meiner Tür – Partikularinteressen versus Gemeinwohl“ diskutierten über diese Fragen am Donnerstagabend in der Urania der ehemalige Staatssekretär im Bundesbauministerium Engelbert Lütke Daldrup mit dem Sprecher der Initiative „Mediaspree versenken“, Carsten Joost. Dogan Yurdakul brachte als Mitglied der Architektenkammer Berlin 20 Jahre Erfahrung in der Bauleitplanung mit. Moderiert wurde der Abend vom Leitenden Redakteur des Tagesspiegels, Gerd Nowakowski. Als Anwohner des beliebten Kreuzberger Graefe-Kiez saß auch Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein auf dem Podium.

Seine Position: Keiner könne verlangen, dass Einkaufsläden, Theater und Kinos direkt vor der Tür liegen, und sich dann gleichzeitig über eine zu laute Umgebung beschweren. „Der Preis für Urbanität ist Lärm“, brachte Martenstein es auf den Punkt. Außerdem findet er, dass Berlin im Umgang mit Investoren zu wenig selbstbewusst auftritt. „Berlin kann es sich leisten, wählerisch zu sein“, sagte er.

Wie aber wird der geeignete Investor gefunden? Was muss getan werden, damit möglichst viele Anwohner mit einem Großprojekt einverstanden sind? Die Antwort des Professors für Stadtentwicklung, Engelbert Lütke Daldrup, lautete: „Wir müssen auf der rechtlichen Seite etwas zurückgehen und stattdessen die Bürger mehr mit einbeziehen.“ Als positives Beispiel nannte er den schweizerischen Gotthardtunnel. Dort konnten Bürger über dessen Bau abstimmen. Ob ein Projekt gebaut werden soll oder nicht, müsse also mehr öffentlich debattiert werden. Details könnten dann in einem separaten Verfahren festgestellt werden.

Wichtig sei es also, die Anwohner früh in die Diskussion mit einzubeziehen und Transparenz herzustellen. Ein Problem ist es aber häufig, die Bürger über das Vorhaben zu informieren. „Ein Aushang im Rathaus und eine Anzeige im Amtsblatt reichen dafür nicht aus“, sagte Mediaspree-Gegner Joost. „Ja, die Anzeigen könnten verbessert werden“, wandte Stadtplaner Yurdakul ein. Ein Zuhörer machte den Vorschlag, ein neues System einzuführen, in dem der Stand der Planungen angezeigt wird. „Wir Bürger wollen wissen, wo wir uns noch mit einbringen und mitbestimmen können“, sagte er.

Diskutiert wurde auch über den Sinn von Architekturwettbewerben. Dort messen sich Architekten in der Regel kostenlos mit anderen, dies halte die Qualität hoch und sei deshalb zu begrüßen, fand Lütke Daldrup. „Es gibt immer mehr Wettbewerbe, an denen nur Ausgewählte teilnehmen dürfen“, entgegnete Joost. „Das ist dann wie eine Antidemokratie.“

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