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Ohne Worte. Auch wenn Nicht-Berliner es kaum glauben können: Auch Hauptstadtbewohner sind manchmal einfach gerne unter sich.

© dpa

Appell an Übernachtungsgäste: Bleibt weg oder zieht die Schuhe aus!

Berliner kennen das: Nicht nur die Straßen sind voller Touristen, ständig hocken auch Freunde von überall in der Bude und wollen bespaßt werden. Das kann in Stress ausarten. Was also tun, wenn sich die Übernachtungsanfragen für Silvester stapeln? Absagen ist unfein – vielleicht tun’s klare Regeln.

Irgendwann begann ich, die Aussichtslosigkeit meiner Lage zu erkennen. Unser Umzug nach Berlin lag da schon zwei Jahre zurück. Alle guten Freunde, Familienmitglieder und erweiterten Anverwandten hatten ihre Antrittsbesuche gemacht, besondere Anlässe standen nicht ins Haus. Es war das erste Wochenende seit langem ohne fremde Leute, fremde Gedanken und fremde Gewohnheiten in unserer Wohnung, ein Tag mit Fernseher, Faulsein, wie man ihn nur so ganz und gar unter sich erleben kann. Es war der Tag, als A. – wie selbstverständlich – am Telefon sagte: „Ich würde dann auch mal wieder vorbeikommen. Wann würde es euch denn passen?“ Und ich dachte: „Niemals wieder!“

Sagen tat ich natürlich: „Soo konkret liegt jetzt erst mal nichts an“ – mit dem Resultat, dass A. schon am Folgewochenende mit dieser ganz eigenen Mischung aus Rastlosigkeit und Redebedürfnis auf der Matte stand, im Gepäck: Whiskey, Cola, ein Netz Zitronen und ein Plan, der jetzt wohl auch der meine sein sollte. Ich umarmte und sagte: „Komm rein!“ In Gedanken ergänzte ich: „Und stell deine Schuhe ordentlich weg, schmeiß die Jacke nicht einfach so in den Flur und lass mich die Sportschau zu Ende gucken!“

Um Nachfragen vorzugreifen: Nein, ich kann nicht einfach „Nein!“ sagen – nicht zu meinen ältesten, besten und überhaupt: Freunden. Dass die jedoch – nicht zuletzt aufgrund zufälliger Anwesenheiten bei Konferenzen oder Konzerten – ihre Besuchshäufigkeit deutlich erhöht haben, seitdem wir in der Stadt der deutschen Städte wohnen, merke ich gerade um den Jahreswechsel wieder verstärkt. Und es macht mir inzwischen richtiggehend Angst! Wo sich mit denen, die an Silvester vertröstet werden mussten, schon eine signifikante Anzahl an Tagen des neuen Jahres dichtmachen lässt, wird es selbst für engagierte Gastgeber irgendwann klaustrophobisch.

Bin ich krank? Ein Einzelfall? Oder muss man in Berlin neu verhandeln, wie Besuchsanfragen und schließlich auch dem Besuch selbst zu begegnen ist? Vielleicht reicht es, an dieser Stelle ein grundlegendes Missverständnis aus dem Weg zu räumen: dass Besuch haben in Berlin auch nur annähernd das Gleiche wäre wie Besuch haben in den Bochums, Nürnbergs und Bremens, aus denen der Berliner Besuch kommt. Besuch haben ist hier kein festliches Ereignis, kann es gar nicht mehr sein, leider! Besuch muss mitlaufen. Das hat er sich in der Summe, durch permanentes „Habt ihr noch mal ’n Bett?“ oder auch „Geht auch ’ne Woche?“, selbst eingebrockt.

Zehn Regeln für Gäste

Damit scheint es mir – allem Normenpluralismus zum Trotz – an der Zeit, hier einige Regeln für Gäste (die bei existenzieller Not, Lebenskrisen oder im Kriegsfall natürlich nicht gelten) noch einmal klar zu formulieren :

1. Schuhe aus!

2. Ich trage meinen Rollkoffer in die Wohnung und zerkratze nicht die Dielen.

3. Nicht jeden Abend ist Party.

4. Was ich angefasst habe, stelle ich zurück.

5. Mein Platz ist das Gästezimmer/die Gästecouch. Nur hier fliegen meine Sachen rum – es sei denn, ich bin ein Kleinkind.

6. Regel 5 bedeutet nicht, dass auch die Eltern des Kleinkindes ihre Sachen überall rumliegen lassen können.

7. Penetrantes, unbeschäftigtes Rumgesitze an zentralen Orten der Wohnung (die Spiel-mit-mir-Masche) geht gar nicht.

8. Laufender Fernseher oder Buch in der Hand des Gastgebers bedeutet: Hier ist grad kein Kommunikationsbereich. Schnauze!

9. Wenn der Gastgeber beim Sonntagsfrühstück den Radiogottesdienst im Deutschlandfunk hören will, wird der Radiogottesdienst im Deutschlandfunk gehört – und sei der Gast Buddhist, Agnostiker oder Druide.

Schließlich und endlich:

10. Das Bad ist kein Probenraum.

Warum ich das hier alles schreibe? Natürlich zuallererst, damit mein Besuch es liest. Vielleicht auch, damit Leidensgenossen den Text unauffällig auf dem Klo einrahmen können. Und es kann ja sogar sein, dass mir irgendein Leser richtig gute Tipps geben kann, wie ich meine wackelige Wochenendpsyche in den Griff kriege – gern ohne mich dabei als Weichei, Mimose und Menschenhasser zu beschimpfen, das wäre nett. Ich bitte Sie hier in aller Offenheit nur um eins: Kommen Sie mich bloß nicht besuchen!

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