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Berlin: Arbeiter montierten 60 Meter über der Spandauer Altstadt die Uhr des Rathausturms

Jörg Wendt sitzt auf der Ballustrade der seit Jahrzehnten gesperrten Aussichtsplattform des Rathausturmes und lässt 60 Meter über der Altstadt die Beine baumeln. Sein Partner Rainer Reichstein hängt fünf Meter tiefer freischwebend an der Fassade und balanciert mit dem 60 Kilogramm schweren Stundenzeiger.

Jörg Wendt sitzt auf der Ballustrade der seit Jahrzehnten gesperrten Aussichtsplattform des Rathausturmes und lässt 60 Meter über der Altstadt die Beine baumeln. Sein Partner Rainer Reichstein hängt fünf Meter tiefer freischwebend an der Fassade und balanciert mit dem 60 Kilogramm schweren Stundenzeiger. Beide sind alles andere als Selbstmordkandidaten, durch Seile und Gurtzeug vor dem Absturz gesichert. Gestern begann die schwierigste Phase der Montage der Turmuhr.

Die beiden Männer und ihr Kollege Andreas Schieke, der die Zeiger weiter unten aus dem Fenster bugsiert, sind die Arbeit in luftiger Höhe gewohnt. Als "Gewerbekletterer" für die Firmen "Seilpartner Berlin" und "Alpin Leipzig" montieren sie auch das Segeldach auf dem Sony-Center am Potsdamer Platz. Für den Job am Rathausturm hat ein Institut für Arbeitssicherheit extra ein Gutachten erstellt. Um Unfälle zu vermeiden, müssen nicht nur die Männer, sondern auch ihre Werkzeuge angeseilt sein, "unverlierbar", wie es Bauleiter Tibor Walter vom Hochbauamt formuliert.

Immer wieder blickt Walter sorgenvoll zum mit Regenwolken verhangenen Himmel. Wenn es richtig nass wird, müssen die Arbeiten unterbrochen werden. Ohnehin war es höchste Zeit für die Installation. "Wenn erst Schnee und Frost einsetzen, darf hier niemand mehr rauf." So war für Frank Haidan von der Schweriner Denkmalpflege Mecklenburg GmbH, wo die Restaurierungsarbeiten stattfanden, der Zeitdruck auch das größte Problem.

Die 1,99 Meter langen Stundenzeiger und die 20 Kilo schwereren, 2,98 Meter langen Minutenzeiger waren 1957 im Zuge der Sanierung des im Kriege schwer beschädigten Rathausturmes letztmalig gewechselt worden. Im Lauf der Jahrzehnte bildeten sich irreparable Risse, eindringende Feuchtigkeit griff die elektrischen Beleuchtungseinrichtungen an. In Schwerin wurden originalgetreue Nachbauten aus Kupferblech gefertigt und wie die Vorgänger mit Blattgold belegt. Damit die Uhrzeit weithin sichtbar auch bei Dunkelheit erkennbar ist, bauten die Arbeiter Neonröhren in einem speziellen Gelbton ein. Geringe Zeitdifferenzen an den vier Turmseiten kann indessen auch das neue, Anfang der 90er Jahre eingebaute Uhrwerk mit Funksteuerung nicht verhindern. Bei starkem Wind werden die Zeiger immer wieder einmal um ein paar Minuten verschoben.

Bereits in der vergangenen Woche haben die Gewerbekletterer die 50 Zentimeter hohen Ziffernkästen montiert, die nur überholt werden mussten. Gestern begann nun der schwierigste Teil der Arbeit. An speziellen Transportösen mit Seilen befestigt, werden die riesigen Zeiger aus den Fenstern unterhalb der Uhr herausgeschoben und mit auf der Plattform befestigten Winden in Position gebracht und auf die Achse montiert. Dabei ist Anfassen fast verboten, denn die hauchdünne Goldschicht darf nicht beschädigt werden.

Rund 135 000 Mark kostet die Sanierung der Uhr, die bundesweit ausgeschrieben wurde. Rechtzeitig vor dem Beginn des Weihnachtsmarktes sollen die Spandauer wieder wissen, was ihnen die Stunde geschlagen hat. Denn Tibor Walter weiß, die Havelstädter blicken nach oben und nicht zum Handgelenk, wenn es um die Uhrzeit geht.

Rainer W. During

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