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Oliver Bürgel, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Berlin

© AWO Landesverband Berlin/ Frank Nürnberger

Arbeiterwohlfahrt demonstriert in Berlin: „Ein Baustein im langen Kampf um finanzielle Gerechtigkeit“

Geflüchtete, Alte, Kinder: Die AWO erfüllt soziale Aufgaben. Jetzt will sie die Gehaltskluft zum öffentlichen Dienst nicht mehr hinnehmen. Ein Interview.

Oliver Bürgel ist der Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Berlin. Die AWO organisiert am heutigen Donnerstag eine Demonstration. Sie beginnt um 14 Uhr am Berliner Lustgarten. Am Roten Rathaus wird es gegen 14.45 Uhr eine erste Kundgebung mit der Übergabe eines Forderungspapiers geben, vor der Senatsverwaltung für Finanzen ist gegen 15.30 Uhr ist eine zweite Kundgebung und Übergabe des Forderungspapiers geplant. Im Interview spricht Bürgel darüber, was die AWO erreichen will.

Herr Bürgel, die Beschäftigten der Berliner AWO verdienen rund sechs Prozent weniger als die Kollegen im öffentlichen Dienst. Warum?
Die deutlichen finanziellen Kürzungen bei den freien Trägern begannen Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre. Durch die damals sehr schwierige Haushaltslage des Berliner Senats wurden Träger zu massiven Einsparungen, zu Tarifflucht und Leistungskürzungen gezwungen. Das wirkt bis heute nach. Verschärft wird die finanzielle Situation unter anderem durch den Umstand, dass viele Träger Investitionen für die Sanierung von Standorten oder Maßnahmen der Digitalisierung tätigen müssen, die allerdings nur bedingt durch die öffentliche Hand refinanziert werden. Da die Arbeiterwohlfahrt jedoch naturgemäß über keine weiteren Finanzierungsquellen verfügt und Tarifsteigerungen, im Gegensatz zur freien Wirtschaft, nicht über eine Erhöhung der Preise und damit aus eigener Kraft refinanzieren werden können, sind wir aber auf die Zahlungen der öffentlichen Hand angewiesen.

Im Juni gab es bereits einen dreitätigen Warnstreik in den AWO-Kitas, jetzt aber nur einen halbtägigen Ausstand. Warum diese Zurückhaltung?
Die Streiks im Sommer fanden im Rahmen der seinerzeit laufenden Tarifverhandlungen statt. Im Übrigen verhandeln wir stets für alle ca. 2.100 Mitarbeitenden der Berliner AWO, also nicht nur für unsere Kita-Erzieher*innen sondern unter anderem auch für Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen der Geflüchtetenhilfe, in Pflegeeinrichtungen oder in Beratungsstellen. In der öffentlichen Wahrnehmung stehen natürlich die Kitas im Vordergrund, aber die AWO in Berlin hält ganz unterschiedliche soziale Angebote und Dienstleistungen bereit. Die heutige Aktion ist kein Tarifstreik, sondern eine Demonstration, gemeinsam mit Verdi, für die Schaffung einer Grundlage für eine leistungsgerechtere Entlohnung unserer Mitarbeitenden. Unsere Forderungen richten sich an den Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus.

Nicht zum ersten Mal demonstriert die Arbeiterwohlfahrt für die Angleichung der Gehälter zum öffentlichen Dienst.
Nicht zum ersten Mal demonstriert die Arbeiterwohlfahrt für die Angleichung der Gehälter zum öffentlichen Dienst.

© Holger Hollemann/dpa

Warum sind vor allem die Kita-Mitarbeiter aufgerufen und nicht die anderen AWO-Beschäftigten?
Es sind expliziert alle Mitarbeitenden der Berliner AWO, also aus den Kreisverbänden, dem Landesverband und den Tochtergesellschaften, aufgerufen, sich an der Demonstration zu beteiligen. Es gibt weder eigene Kita-Streiks noch eigene Verhandlungen für Kita-Erzieherinnen. Für die Berliner AWO gilt ein gemeinsamer Tarifvertrag für alle Mitarbeitenden, egal ob Kita, Migrationsberatung oder Vormundschaften. Das war und ist uns in den Verhandlungen stets wichtig.

Bleibt es dabei, dass fast alle Kitas Notdienste anbieten und nur einige Kitas ganz dicht machen?
Es werden keine Kitas ganztägig geschlossen. Viele Kitas werden jedoch um 13 Uhr schließen. Dafür werden Notdienste eingerichtet, so dass kein Kind ohne Betreuung sein muss. Natürlich freuen wir uns auch, wenn möglichst viele Eltern unser Anliegen unterstützen und gemeinsam mit ihren Kindern an der Demonstration teilnehmen. Denn im Endeffekt betrifft es uns alle.

Die neue AWO-Landesvorsitzende Ina Czyborra ist auch SPD-Abgeordnete. Haben sie somit nicht beste Verbindungen zum Haushaltsgesetzgeber?
Wir sind unglaublich froh, dass wir Ina Czyborra als Landesvorsitzende gewinnen konnten. Sie wird ihren Teil zur Angleichung der Gehälter beitragen. Jedoch sprechen wir beim sogenannten Lückenschluss zwischen den Gehältern des öffentlichen Dienstes und den Gehältern bei der Berliner Arbeiterwohlfahrt von einem Prozess, der mittlerweile seit einigen Jahren läuft. Und er trägt bereits Früchte. Es gab intensive Gespräche mit den politischen Entscheidungsträger*innen sowie den Regierungsfraktionen. Die Landesregierung hat sich mittlerweile das politische Ziel gesetzt, die Einkommenssituation in Sozial- und Gesundheitsberufen in Berlin nachhaltig zu verbessern. Unter anderem sind die Bemühungen im Bereich der Refinanzierung von Tarifsteigerungen sichtbar. Die Gehälter unser Mitarbeitenden haben sich in den letzten Jahren um mehr als zehn Prozent erhöht. Es ist also durchaus etwas in Bewegung. Nur wird die Zeit immer knapper, den finalen Lückenschluss herzustellen ohne die freien Träger langfristig finanziell zu überfordern. Nebenbei bemerkt; dass wir nach über zehn Prozent Gehaltssteigerung immer noch deutlich hinter dem öffentlichen Dienst liegen, zeigt das Ausmaß des finanziellen Ungleichgewichts.

Hat der Zeitpunkt der Demonstration damit zu tun, dass der Doppelhaushalt gerade in den Schlussrunden verhandelt wird?
Ja, natürlich haben wir den Doppelhaushalt im Blick. Wie bereits angedeutet, ist die heutige gemeinsame Aktion mit Verdi nur ein, zugegebenermaßen wichtiger, Baustein in einem langen Kampf um finanzielle Gerechtigkeit.

Warum demonstrieren Sie nicht zusammen mit anderen freien Trägern, die ähnliche Probleme haben? Wäre das nicht eine machtvollere Demonstration als nur mit geschätzt 400 Menschen auf die Straße zu gehen?
Wir haben für die heutige Aktion ein Bündnis mit Verdi – das ist durchaus bemerkenswert, da wir uns sonst, nicht selten in sehr intensiven Treffen, als Verhandlungspartner gegenübersitzen. Als Arbeiterwohlfahrt möchten wir, gemeinsam mit Verdi, vorangehen. Andere freie Träger haben selbstverständlich auch unterschiedliche Strukturen, andere Herausforderungen und eigene Schwerpunkte. Aber natürlich freuen wir uns, wenn wir zukünftig ein noch stärkeres Bündnis schmieden können, denn die heutige Aktion ist wahrscheinlich nicht die letzte dieser Art.

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