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Archäologische Funde in Mitte: Rückkehr der Berliner Geschichte

Kaum etwas blieb vom mittelalterlichen Berlin übrig – deshalb sind die archäologischen Funde so wertvoll.

Die Geschichte Berlins wird mit Füßen getreten, denn unter dem Pflaster liegt die Stadt. Eine ältere Schicht der Metropole, die sich seit dem 19. Jahrhundert mit rasender Geschwindigkeit verändert hat. Die Geschichte Berlins liegt da vergraben: verloren geglaubte Kunstwerke aus der Propagandaschau der Nazis „Entartete Kunst“ zum Beispiel, die der Regierende Bürgermeister an diesem Montag vorstellt. Zu finden sind aber auch Zeugnisse von den Ursprüngen der Stadt, die in Vergessenheit gerieten. Das alles wurde geradezu beiläufig wiederentdeckt bei den Arbeiten zum Bau des U-Bahnhofes „Berliner Rathaus“: der Hauptsaal vom „Alten Rathaus“, das unmittelbar vor dem heutigen Sitz des Regierenden Bürgermeisters stand und dessen Grundmauern in überraschend gutem Zustand unter der Erde erhalten blieben.

Die dort ebenfalls unter dem Pflaster gefundenen Münzen geben Auskunft über die Handelsströme, die Berlin mit der übrigen mittelalterlichen Welt verbanden. Europäer waren die Berliner schon damals, wenn man so will. Aber ist es wirklich notwendig, diese Steine zu erhalten? Ja, antwortet der Stadthistoriker Benedikt Goebel: „Man muss ja nicht alles rekonstruieren, aber bei der kleinen Zahl historischer Bauten in Berlin sollte das Vorhandene nicht auch noch zerstört werden.“ Goebel erforscht die historische Stadt, er hat aus alten Karten den Verlauf der Straßen nachgezeichnet, hat Häuser, Kirchen und Verwaltungsgebäude aufgelistet. Mit dem Ergebnis: Von den 1500 Gebäuden, die vor Beginn der Modernisierung der Stadt ab 1840 standen, ist heute nur noch ein Dutzend übrig – die frühe Baugeschichte Berlins ist nahezu ausgelöscht.

Was noch übrig ist von Berlins früher Baugeschichte, liegt verstreut über die 890 Quadratkilometer große Stadt: Gotische Häuser in der Altstadt von Köpenick. Ein Burgturm und ein Wohngebäude in der Zitadelle Spandau. Das Nicolaihaus in der Brüderstraße und das Knoblauchhaus im Nikolaiviertel, der Alte Marstall, die Heilig-Geist-Kapelle an der Spandauer Straße und natürlich Sakralbauten – die Marienkirche zum Beispiel, in Sichtweite des ausgegrabenen Alten Rathauses. Diese, so rät Goebel, muss besuchen, wer auf den Spuren der mittelalterlichen Stadt wandeln will. Denn im Inneren der Kirche findet man Malereien, darunter den „Totentanz“, eine fürs Mittelalter typische Darstellung: Der Tod holt den Kaiser und den Edelmann, den Handwerker und den Bauern, er holt jeden ungeachtet seines Ranges auf gleiche Weise zu sich.

Wird die Vergangenheit aber wirklich wieder lebendig durch ein paar Steine oder Bilder? Wer daran zweifelt, sieht sich durch den Erfolg der Ausstellung „Berlins vergessene Mitte“ im Ephraim-Palais eines Besseren belehrt. Tausende Besucher in den ersten Wochen, der Katalog ausverkauft, gilt sie bereits als die erfolgreichste Schau über Stadtgeschichte überhaupt. Noch bis 27. März läuft die Ausstellung der 380 Fotografien zur Geschichte der verlorenen Stadtquartiere in der Mitte Berlins.

Eine davon könnte auch die Geschichte der mittelalterlichen Gerichtslaube sein – die vielleicht sogar noch ein glückliches Ende finden könnte. Im ersten Geschoss des recht kleinen Gebäudes, das einmal westlich vom Alten Rathaus stand, wurde im Mittelalter Recht gesprochen. Die verurteilten Delinquenten wurden im Erdgeschoss an den Pranger gestellt. Im Märkischen Museum ist noch eine Bank aus dem 13. Jahrhundert zu finden, gebaut aus Kiefer- und Eichenholz, auf denen sie beim Prozess Platz nehmen mussten.

Anders als der größte Teil des historischen Erbes wurde dieser Bau aus dem typischen roten Backstein mit seinen schwungvollen gotischen Bögen nicht zerstört. Die Gerichtslaube steht heute im Park von Potsdam-Babelsberg. Die Fundamente aber liegen unter der Spandauer Straße. Der Verkehrsweg wird nach den Planungen des Senats zurzeit zurückgebaut. Was also spricht dagegen, nach den Fundamenten des mittelalterlichen Baus zu graben? Und wenn man sie findet, warum sollten ihre Teile nicht wieder zusammengeführt werden? Damit im Herzen Berlins wie in anderen Städten eine Zeitreise zu den Ursprüngen wieder möglich wird. Ralf Schönball

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