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Architekturdebatte (1): Braucht Berlin eine Internationale Bauaustellung?

Ein Plädoyer für eine planerische Kraftanstrengung. Was aber soll das Ziel einer dritten IBA sein? Zum Start der neuen Tagesspiegel-Serie gibt Werner Durth einen Rück- und einen Ausblick. Diskutieren Sie mit, liebe Leserin, lieber Leser!

Seit mehr als einem Jahrhundert haben Bauausstellungen in Deutschland der Planungskultur nachhaltig Impulse gegeben und Maßstäbe gesetzt. Ein Rückblick zeigt, welchem Erbe die aktuellen Projekte einer IBA verpflichtet sind.

In der Weltausstellung Paris 1900 hatte Deutschland einen großen Auftritt am Ufer der Seine. Dort erhob sich zwischen den Repräsentationsbauten anderer Nationen das Deutsche Haus, das stilistisch Spätgotik mit Renaissance verband und sich im Skulpturenprogramm auf das Nibelungenlied bezog. In der Deutschen Bauzeitung als „Pschorrbräuarchitektur“ bezeichnet, überraschte das Gebäude im Inneren mit Rokoko und Jugendstil. Breite Aufmerksamkeit fanden indes die Reformmöbel im „Darmstädter Zimmer“, entworfen von dem Wiener Architekt Joseph Maria Olbrich im Auftrag des Großherzogs von Hessen. Während das Deutsche Haus mit allen Einrichtungen nur für die Zeit der Weltausstellung errichtet war und danach wieder verschwand, plante der junge Großherzog Ernst Ludwig in seiner Residenzstadt eine erste Bauausstellung auf Dauer, die neueste Tendenzen europäischer Baukultur aufnehmen und im Mai 1901 als „Dokument deutscher Kunst“ einem internationalen Publikum präsentiert werden sollte.

Wie Wilhelm II. ein Enkel der Queen Victoria, hatte Ernst Ludwig nach prägenden Jahren seiner Kindheit und Jugend in England 1899 eine Künstlerkolonie gegründet, deren Bauten auf einem Hügel am Rand der Stadt jener Olbrich entwarf, der zuvor in Wien durch den sensationellen Ausstellungsbau der Sezession ein viel beachtetes Zeichen für die Abkehr vom Historismus gesetzt hatte. Mit seinen Atelier- und Ausstellungsbauten, Künstlerhäusern und Pavillons schuf Olbrich in Darmstadt bis in die Details der Inneneinrichtung ein bald weltweit bekanntes Gesamtkunstwerk, das er 1908 mit dem Hochzeitsturm krönte – bis heute die werbewirksame Stadtkrone im „Zentrum des Jugendstils“.

Eine Bauausstellung ist ein Ausnahmezustand auf Zeit

Neben Olbrich baute 1901 der Maler Peter Behrens als Autodidakt sein erstes Haus. Später künstlerischer Berater und Architekt der AEG, gründete Behrens mit Olbrich und Kollegen wie Hermann Muthesius aus Berlin 1907 den Deutschen Werkbund, ein Bündnis von Architekten und Künstlern, Politikern und Unternehmern, mit dem Ziel einer durchgreifenden Reform der Umweltgestaltung – vom Besteck und Geschirr übers Mobiliar bis hin zum Städtebau. Erfolgreich warb der Bund für seine Ideen durch Ausstellungen, Vorträge und reich illustrierte Jahrbücher, doch unterbrach der Erste Weltkrieg diesen Aufschwung.

Zwei Jahrzehnte nach der Gründung war es 1927 die Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ in Stuttgart, die neben sachlich gestalteten Produkten des alltäglichen Bedarfs mit der Weißenhofsiedlung als sozialpolitische Offensive der Kommune eine neue Bauausstellung auf Dauer präsentierte, um für neueste Bautechnologie und wirtschaftlichen Wohnungsbau zu werben. Unter der Leitung Ludwig Mies van der Rohes, der einen mehrgeschossigen Mietwohnungsbau in Stahlkonstruktion errichtete, verwirklichten Architekten aus vielen Ländern Europas ihre Ideen. Die Stuttgarter Siedlung machte international Furore und zog ähnliche Projekte in anderen Städten Europas nach sich, doch blockierte ab 1933 die Herrschaft Hitlers den fruchtbaren Austausch der Ideen und Konzepte.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie die IBA 1957 die Folge fortsetzt.

Drei Jahrzehnte später setzte die Interbau 1957 in Berlin die Folge fort. Jetzt war es die Neugestaltung des im Krieg zerstörten Hansaviertels, die unter dem städtebaulichen Leitbild der Stadtlandschaft durch aufgelockerten Wohnungsbau unter Beteiligung von Architekten aus aller Welt politisch und kulturell in dreifacher Hinsicht Zeichen setzen sollte: gegen die kompakte „Mietkasernenstadt“ der Kaiserzeit mit ihren früher oft unerträglichen Wohn- und Lebensverhältnissen, gegen die neue Monumentalität des Wiederaufbaus im Osten Berlins und die Wiederbelebung nationaler Bautraditionen nach dem Diktat Stalins – zugleich aber auch Zeichen für den Anschluss an internationale Tendenzen moderner Architektur, ergänzt durch die populäre Sonderschau „Die Stadt von morgen“ mit Bildern zerstreuter Siedlungen im weiten Raum der Landschaft. Prägnant stellte Bundespräsident Theodor Heuss, einst Sekretär des Werkbunds, den Bezug zur Stuttgarter Ausstellung 1927 her, und er betonte die politische Bedeutung dieser IBA für die Wahrnehmung Berlins im In- und Ausland. Dennoch gab es Kritik. „Die Stadt von morgen ist morgen von gestern“, spotteten Architekten, die in der Auflockerung und Durchgrünung der Stadt, zumal in Berlin, kein zukunftweisendes Leitbild entdecken konnten.

Nicht zufällig waren es einige der damals beteiligten Kollegen, wie die Berliner Hardt-Waltherr Hämer und Hans Christian Müller, die ab 1977 gleichsam als Kurskorrektur den Anstoß gaben zu einer neuen Wertschätzung des bereits gebauten Bestands. Unter dem Motto „Die Innenstadt als Wohnort“ wurden über ein Jahrzehnt bei aktiver Beteiligung der Bewohner Strategien behutsamer Stadterneuerung erprobt und ergänzt durch Prinzipien einer kritischen Rekonstruktion der im Krieg zerstörten Stadtstrukturen. Unter der Ägide von Josef Paul Kleihues wurden diese Prinzipien auch über das Präsentationsjahr der IBA 1987 hinaus weiter entwickelt und nach dem Fall der Mauer auf innerstädtische Brachen angewandt, wie sie etwa am Pariser oder Leipziger Platz entstanden waren.

Von Beginn an sollte eine IBA international angelegt sein

Diese in Berlin gewonnenen Erfahrungen der Wiederentdeckung, Neubewertung, Umnutzung, Ergänzung und Aufwertung von lange vernachlässigten Beständen und Strukturen wirkten als Impulse weit in die Planungspraxis anderer Kommunen hinein – und gaben schließlich den Anstoß zu der folgenden IBA Emscher Park, in der die Lehren aus Berlin nun im Maßstab einer Region auf Teile des Ruhrgebiets übertragen wurden. Das IBA-Memorandum vom Mai 1988 nennt als Ziel den ökologischen Umbau dieser alten Industrielandschaft in der Absicht, „Landschaft wieder aufzubauen und neue Stadtqualität zu schaffen, um auf dieser Grundlage neue Möglichkeiten für Arbeit, Kultur und Wohnen zu eröffnen“. In einem Gebiet von rund 800 Quadratkilometern wurden bis zum Präsentationsjahr 1999 verwahrloste Industrieanlagen durch kulturelle Einrichtungen für neue Aufgaben tauglich gemacht, attraktive Siedlungen auf ehemaligen Brachen errichtet, die Grünflächen entlang der Emscher in eine Parklandschaft zur Erholung und Freizeitgestaltung verwandelt. Und wieder wirkten die Impulse einer IBA weiter.

Ab 1997 widmete sich die IBA Fürst-Pückler-Land in der Lausitz dem Strukturwandel der von den Wirtschaftskrisen und Abwanderung betroffenen Region, seit 2002 versuchte die IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt durch Aufwertung der Stadtzentren dem demographischen Wandel zu begegnen. Im selben Jahr 2002 startete in Hamburg die IBA 2010 unter dem Leitbild „Metropole Hamburg – wachsende Stadt“, um unter dem Motto „Sprung über die Elbe“ vor allem die Entwicklung der südlich gelegenen Stadtgebiete anzuregen. Da in den folgenden Jahren weitere Bauausstellungen in Basel, Frankfurt am Main, Heidelberg und anderenorts angekündigt wurden, sollte der befürchteten Inflation der IBA-Projekte durch eine Selbstverständigung der Akteure begegnet werden, um Qualitätskriterien zu diskutieren und durch Selbstverpflichtung verbindlich zu machen. In den ab 2007 von der IBA Hamburg organisierten, vom Bundesbauministerium unterstützten Netzwerk „IBA meets IBA – zur Zukunft internationaler Bauausstellungen“ erarbeiteten Thesen und Empfehlungen wurde festgestellt, dass die Gleichzeitigkeit der Projekte in der öffentlichen Wahrnehmung Irritationen und Unschärfen auslösen könnte, zumal die entsprechenden Initiativen ohne Koordination und Kontakt untereinander mit der Vorbereitung begonnen hatten.

Lesen Sie auf Seite drei, wie Missbrauch mit dem Titel IBA möglich ist.

Weil der Titel IBA nicht geschützt und nicht Bewerbungsverfahren wie denen zu einer Gartenschau, Kulturhauptstadt oder Olympiade unterzogen ist, sei Missbrauch möglich: daher die Forderung nach einer Selbstkontrolle aller Beteiligten, sich im Rückblick auf die Geschichte der IBA als Partner in einem Lernprozess zu begreifen, in dem seit den ersten Architektur-Ausstellungen ab 1901 neben ästhetischen und technologischen Aspekten zunehmend soziale, wirtschaftliche und ökologische Kriterien sowie die Qualität von Prozessen und Partizipation in den Vordergrund traten. Dabei sollte weiterhin gelten, dass jede IBA aufgrund konkreter Probleme in Stadt und Region Zukunftsfragen gesellschaftlichen Wandels thematisiert und exemplarisch auf solche Projekte hin fokussiert, die räumliche Entwicklungen anstoßen und dadurch den Wandel gestalten helfen.

Eine IBA ist mehr als eine Bau-Ausstellung. Sie stellt Lebensentwürfe und Wertorientierungen der Stadtgesellschaft zur Diskussion, sie gibt Antwort auf soziale Fragen nicht nur durch die Gestaltung von Gebäuden, sondern auch durch Ermöglichung neuer Formen der Aneignung öffentlicher Räume in Stadt und Landschaft. Zur Definition der Themen sind vorbereitende Diskurse und vorgeschaltete Werkstätten im Abwägen von Alternativen wichtig. So wird die Aufmerksamkeit aller Beteiligten nicht allein auf das Bauen, sondern auch auf die Wahrnehmung der Entstehungsbedingungen und die Qualität von Prozessen gerichtet. Jede IBA steht dafür, auch über die Qualifizierung von Verfahren zu einer neuen Planungs- und Baukultur beizutragen, die als Zusammenspiel von Prozess- und Ergebnisqualität erkennbar wird. Deshalb ist jede IBA weiterhin auf hervorragende Neubauten angewiesen, die überregionale Beachtung und Würdigung sichern helfen. Mehr noch: Von Anbeginn sollte eine IBA international angelegt sein – durch herausragende Beiträge aus dem Ausland, durch die in den Projekten angelegte internationale Relevanz und durch eine international ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit.

Mit der IBA Berlin 2020 ist ein neues Experiment begonnen worden

Der für eine erfolgreiche IBA erforderliche Einsatz an fachlichem und persönlichem Engagement, an finanzieller Ausstattung, politischem Rückhalt und bürgerschaftlicher Initiative ist nur dann zu erwarten, wenn von Anbeginn klar ist: Eine IBA ist ein Ausnahmezustand auf Zeit, mit einem definierten Anfang und Ende. Sie wird nur durch Konzentration der intellektuellen, künstlerischen und finanziellen Kräfte auf einen überschaubaren Zeitraum möglich. Je nach Aufgabenstellung und örtlichen Bedingungen braucht jede IBA eine angemessene Organisationsform, um zu exemplarischen und generalisierbaren Lösungen mit hoher Ausstrahlung kommen zu können. Jede IBA verlangt Mut zum Risiko, sie ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Dies muss allen Akteuren, Verbündeten und vor allem der Öffentlichkeit von Anbeginn bewusst gemacht werden, um Freiräume jenseits der Alltagspraxis eröffnen und ein breites Interesse wecken zu können. Mit der IBA Berlin 2020 ist ein neues Experiment begonnen worden, das Zuspruch wie Widerspruch provoziert. Ihr ist zu wünschen, dass aus leidenschaftlichen Kontroversen um Themen, Aufgaben, Orte und Konzepte ein Beitrag zur Baukultur erwächst, der wie jede IBA bisher als Antwort auf drängende Fragen ihrer Zeit verstanden wird und gültig bleibt.

Werner Durth, Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der TU Darmstadt, ist Verfasser der zehn Empfehlungen zur Zukunft Internationaler Bauausstellungen. Dazu ausführlich: Werner Durth/Paul Sigel, Baukultur. Spiegel gesellschaftlichen Wandels, Berlin 2009

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