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Architekturdebatte (4): Berlin braucht Mut zum Risiko

Eine Internationale Bauausstellung in Berlin müsste sich einer zukunftsentscheidenden Problemlage widmen, die neue Lösungswege erfordert. Ist Berlin bereit und so mutig, sich in das Abenteuer einer IBA 2020 zu stürzen?

Jede Einrichtung einer Internationalen Bauausstellung (IBA) steht in einer langen und wirkmächtigen Tradition. Das hat Werner Durth in seinem Beitrag in dieser Zeitung faktenreich gezeigt. Hohe Ansprüche sind damit verbunden: Den Namen IBA verdient nur eine Organisation, die sich kühne, ja verwegene Ziele setzt und die sich auf hohem Niveau drei Grundsätzen verpflichtet weiß: Sie muss sich einer bedeutsamen, zukunftsentscheidenden Problemlage widmen, die neue Lösungswege erfordert. Dazu gehört Mut zum Risiko. Sie muss neue Verfahren und Prozesse entwickeln und praktizieren, die Antworten geben auf bürokratische Verkrustungen und politische Hindernisse. Dazu gehört Verfahrenskreativität und die Bereitschaft des politisch-administrativen Systems, sich zumindest partiell zu öffnen. Sie muss nicht zuletzt in allen ihren Manifestationen einen wichtigen Beitrag zur Kultur der Stadt leisten: In ihren Formen der Bürgerbeteiligung genauso wie in ihren Bauwerken. Letztlich wirkt eine IBA über die sinnlich erfahrbare Qualität: Nur diese Qualität bleibt nachhaltig in der Erinnerung. Ziele, Inhalte und Organisation einer IBA 2020 in Berlin müssen sich an diesen Grundsätzen messen lassen.

Für eine IBA 2020 stehen zwei Vorschläge zur Diskussion: Der Vorschlag der Senatsbaudirektorin mit dem Titel „Strategien für eine gemischte Stadt – Hauptstadt, Raumstadt, Sofortstadt“ und der Vorschlag einer Gruppe freiberuflicher Architekten und Stadtplaner mit dem Titel „Radikal Radial“. Beide Vorschläge unterscheiden sich in ihren gedanklichen Ansätzen.

Der Vorschlag der Senatsbaudirektorin und ihrer Arbeitsgruppe greift unter dem Leitthema „gemischte Stadt“ drei Themenfelder auf, die für die Transformation Berlins bedeutsam sind: Wie soll sich Berlin als Hauptstadt darstellen (Hauptstadt)? Wie kann Berlin das reiche Kapital des „öffentlichen Raums“ besser nutzen und gestalten (Raumstadt)? Und nicht zuletzt: Wie kann Berlin seine vielen Brachflächen und brachgefallenen Gebäude mit Nutzungen auf Zeit beleben (Sofortstadt)? Das sind ohne Zweifel wichtige Problem- und Themenfelder und sie sind in dem Vorschlag auch gut begründet. Aber sind sie alle für sich genommen auch so neu, dass sie eines außerordentlichen Innovationsimpulses in Form einer IBA bedürfen? Gehören diese Problemfelder nicht letztlich zum Tagesgeschäft einer guten Großstadtverwaltung?

Anders sieht es aus mit dem Ziel der polyzentralen und gemischten Stadt: Die Urbanisierung der entmischten, nach Funktionen aufgeteilten Stadt ist in der Tat eine Herausforderung gewaltigen Ausmaßes. Aber auch eine IBA muss sich geschickt und intelligent zunutze machen, was an stadtbildenden Kräften vorhanden ist.

Nach meiner Beobachtung wirken gegenwärtig leider fast alle Kräfte an einer weiteren Konzentration mit und damit an einer weiteren Entmischung: Dienstleistungs-, Bildungs- und Handelsinstitutionen werden mit zunehmender Binnendifferenzierung immer größer und verlieren damit ihre Einfügungs- und Anschlussfähigkeit. Die soziale Trennung nach Einkommen und Ethnien nimmt zu. Die Dynamik der Bodenpreise fördert die Segregation nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.

Alle die beispielhaft genannten Einflüsse sind ziemlich elementarer Art, die eine Stadt Berlin alleine kaum noch beeinflussen kann: Sollte die IBA 2020 dieses Ziel ernsthaft verfolgen wollen, würde sie starke Partner aus der Wirtschaft brauchen. Wenn es aber gelingen sollte, starke Partner für eine Urbanisierung z. B. einer Großsiedlung wie der Gropiusstadt zu gewinnen, dann könnte ein solches IBA-2020-Projekt von großer Ausstrahlungskraft sein, weil es eine weltweite Problematik treffen würde.

Wenn die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden können, sollte man sich auf dieses Aufgabenfeld konzentrieren, unter Umständen in Verbindung mit dem Thema der Zwischennutzungen auf Zeit (Sofortstadt). Dieses Themenfeld allein würde wohl keine IBA rechtfertigen, aber in Verbindung mit dem Thema nachträglicher Urbanisierung könnte es als „leichter Städtebau“ die Stadt beweglicher und anpassungsfähiger machen. Eine IBA ist – wie der Name sagt – eine Ausstellung, und dem Ausstellungsprinzip würde eine allzu verstreute, inselhafte Strategie mit ganz unterschiedlichen Inhalten entgegenstehen.

Eine gewisse Konzentration auf ein Hauptthema und wenige Hauptstandorte wäre für die öffentliche Wirkung günstig. Die Konzentration auf wenige polyzentrale Orte der Peripherie würde einen guten Gegenpol zu den beiden bisherigen Bauausstellungen im Zentrum setzen, als ein Zeichen für einen Wandel in der Stadtentwicklungspolitik.

Der Vorschlag „Radikal Radial“ konzentriert sich räumlich auf die großen Ausfallstraßen. Dieses Thema stößt in allen Metropolen auf großes Interesse, weil der Umbau dieser radialen Hauptstraßen zu Auto-Hochleistungsstraßen bis zum Typ Stadtautobahn, der Verlust ihrer Zentralität als Haupteinkaufsstraßen (zugunsten von Einkaufszentren) und vor allem die damit einhergehende Zerstörung ihrer stadträumlichen Qualität ein weltweites Problem darstellt. An den Ausfallstraßen als Querschnitte durch Stadt und Umland verbinden sich alle typischen Probleme der Stadt in verschärfter Form. Sie stellen deswegen einen sehr geeigneten und in historischer Perspektive auch absolut neuen Raum für eine IBA 2020 dar.

Der Umbau der Ausfallstraßen ist von einer Stadtverwaltung allein nicht zu bewältigen, weil diese Straßen naturgemäß die Mutterstadt mit zahlreichen peripheren Städten und Gemeinden grenzüberschreitend verbinden und weil die Planungshoheit meist auf Landesebene liegt. Zur Notwendigkeit einer kommunalen Zusammenarbeit von Bezirken und Gemeinden kommt zwangsläufig die Kooperation der Länder Berlin und Brandenburg. Für eine solche Problemstellung könnte eine länderübergreifende IBA Berlin-Brandenburg ein geeignetes Instrument sein. Noch jedoch fehlt es dem Vorschlag an einer übergreifenden Idee, die über die Gestaltung der stadträumlichen Sequenz unterschiedlicher Situationen an einer Ausfallstraße hinausgeht. Ein solches Thema könnte die Verbesserung der Anschlussfähigkeit und Verträglichkeit sich immer stärker selbst isolierender Funktionssysteme darstellen. Ein Thema von allgemeiner Bedeutung: Wie kann am Beispiel der Transformation des Korridors einer Ausfallstraße gezeigt werden, auf welche Weise sich unterschiedliche Verkehrsmittel vertragen und sich ergänzen können? Wie ist Lärm ohne Lärmschutzwände zu bewältigen? Und wie kann trotz aller technischen Ansprüche und Belastungen noch Raum für Aufenthalt und Wohnen geschaffen werden? Bei einer solchen Thematik käme auch zwanglos ein bisher von Berlin wie von Brandenburg vernachlässigtes Aufgabenfeld in den Blick: die Ordnung, Gestaltung und moderate Verdichtung des halb ländlichen und halb städtischen Umlands. Bei dem Vorschlag „Radikal Radial“ wäre eine Zuspitzung der Thematik und die Beschränkung auf eine Ausfallstraße zu erwägen, um eine IBA 2020 nicht zu verzetteln.

In beiden Vorschlägen stecken viele gute und entwicklungsfähige Ideen. Um solche Ideen aber in einer IBA 2020 realisieren zu können, muss man sich die Grundbedingungen einer IBA vor Augen stellen: Die Vorbereitung und Durchführung einer IBA ist ein zeitlich auf zehn Jahre begrenztes Abenteuer. Ohne eine die IBA sozusagen verkörpernde Persönlichkeit mit einem unabhängigen Budget, ausreichend dimensioniert für zeit- und arbeitsaufwendige Vorbereitungen, für Qualifizierungsverfahren, Monitoring und Kommunikation darf man eine IBA nicht auf Stapel legen. Es bedarf einer weitreichenden politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Übereinstimmung, um zu einer Bündelung von Haushaltsmitteln zu kommen und um unvermeidliche Krisen zu überstehen – kurz, es bedarf des Mutes zum Risiko!

Die Auswirkungen einer IBA 2020 würden weit reichen – bis weit in dieses 21. Jahrhundert – und würden damit zu Bestandteilen heftiger Umwälzungen werden, die wahrscheinlich so grundstürzend sein werden, wie die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert. Zu den Vorbereitungen einer IBA 2020 gehören deshalb auch Überlegungen zur Resilienz des Stadtgefüges, also zur Robustheit unter starkem Stress. Ist Berlin bereit und so mutig, sich in das Abenteuer zu stürzen?

Der gebürtige Hamburger Thomas Sieverts ist Architekt und Stadtplaner und lehrt heute als Professor in München

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