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Berlin: Arkadiens neues Maß

Alt und neu – die architektonische Entwicklung Potsdams ist eine Erfolgsgeschichte geworden

Potsdam – Da fügt sich was. Die Eröffnung des großartigen neuen Hans-Otto-Theaters am Ufer der Havel hat das sehr deutlich spürbar werden lassen. Der architektonische Aufschwung der brandenburgischen Landeshauptstadt addiert sich inzwischen zu einer stolzen Bilanz.

Man muss nur einmal den offiziellen „Architekturführer DDR – Bezirk Potsdam“ zur Hand nehmen, um die Wegstrecke zu ermessen, die seit den Achtzigerjahren zurückgelegt worden ist. Zu DDR-Zeiten wurde Potsdam grundlegend umgemodelt. Der schwerwiegendste Eingriff bezeichnet zugleich die Stelle der intensivsten Auseinandersetzungen seit der Wende: der Abriss des beschädigten Stadtschlosses und die völlige Neuplanung an dessen Stelle. Da kommt auch das nagelneue Theater am Havelufer in den Blick: Denn ein Theaterneubau befand sich bereits über einem Teil des Schlossareals im Rohbau, als die Mauer fiel, und es gab heftige Auseinandersetzungen um dessen Abriss und damit die – zunächst vorsichtige – Orientierung auf einen Wiederaufbau des Schlosses.

Der Brandenburgische Landtag hat mittlerweile die Grundsatzentscheidung getroffen, selbst Sitz zu nehmen in einem Neubau mit den Ausmaßen und den rekonstruierten Fassaden des alten Schlosses. Unumstritten ist der Beschluss nicht. Mit dem aus Privatspenden finanzierten Aufbau des Fortuna-Portals ist aber bereits ein deutliches Zeichen gesetzt, im historischen Stadtzentrum wieder an die Vergangenheit anzuknüpfen.

Mit der Wiederherstellung des ramponierten Stadtbildes sind auch ökonomische Vorteile deutlich spürbar. Das gilt zum einen für die barocke Altstadt mit ihrer Achse Brandenburger Straße, die sich wieder als Einkaufszentrum durchsetzen konnte. Und der Standort des Hans-Otto-Theaters an der Havel hat sich bereits vor dessen Eröffnung auch als ökonomischer Magnet erwiesen; die Ansiedlung von High-Tech-Firmen zeugt davon. Das gilt ebenso für die noblen Wohnviertel der Berliner Vorstadt hin zur Glienicker Brücke und die Straßenzüge westlich des Neuen Gartens, die bis zum Abzug der sowjetischen Truppen vollständig abgeriegelt waren, aber natürlich auch für die dem Griebnitzsee benachbarten Straßen im früheren Filmprominenz-Vorort Babelsberg.

Der Zuzug wohlhabender „Westler“, anfangs von vielen Potsdamern beargwöhnt, war die Voraussetzung für die Revitalisierung des reichen baulichen Erbes des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Zahlreiche prachtvolle Villen entstanden damals in Potsdam. Dass sich großsprecherische Projekte wie die Stadtvillen unmittelbar an der Glienicker Brücke nicht, wie von den Fondsverwaltern erwartet, rechnen, hat den Investorendruck abgemildert. Wer Geld hat, investiert lieber in Altbauten mit ihrem heute nicht mehr erreichbaren Wohnkomfort.

Über allen Potsdamer Bemühungen steht natürlich die Anerkennung der Schlösser- und Gartenlandschaft von Potsdam als Unesco-Welterbe. Das preußische Arkadien, das sich von der Berliner Seite mit Pfaueninsel und Schloss Glienicke über die Havelufer bis nach Schloss und Park Sanssouci mit dem Neuen Palais erstreckt, setzt mit dieser Aufwertung einen Maßstab, dem sich Neubauprojekte zu fügen haben.

Wie sehr dies der Stadt zum Nutzen ist, machte die Auseinandersetzung um den Neubau des Potsdamer Hauptbahnhofes mit Einkaufszentrum deutlich: Ursprünglich in gigantischen Ausmaßen geplant, führte erst die Intervention der Unesco zur Einsicht. Ein architektonisches Meisterwerk entstand nicht – auch diese Erfahrung hat dazu beigetragen, den Wert der kleinteiligen Potsdamer Altstadt zu schätzen. Der geringe Leerstand zwischen Brandenburger Tor und Holländischem Viertel ist ein deutlicher Beleg für den langfristigen Nutzen einer behutsam modernisierenden Denkmalpflege.

Zugleich hat die neue Sicht auf den ästhetischen Zusammenhang der Potsdamer Schlösserlandschaft ein bemerkenswertes Mäzenatentum gefördert. Werner Otto, die Messerschmidt-Stiftung oder die Cornelsen-Stiftung sind drei der herausragenden Namen, die im Zusammenhang mit dem Wiedererstehen von Neuem Palais, Belvedere auf dem Pfingstberg und Belvedere im Park Sanssouci zu nennen sind – eine Reihe, an deren Anfang der Wiederaufbau des durch Vandalismus bis auf die Grundmauern zerstörten, zauberhaften Pomona-Tempels steht, dem Erstlingswerk des 19-jährigen Karl Friedrich Schinkel.

Wird das Stadtschloss mit seinem städtischen Umfeld wiedererstehen, besteht auch die Aussicht, die DDR-Bausünden in Potsdams Mitte zu bereinigen. Nur wenige Schritte abseits der überbreiten Friedrich-Ebert-Straße ist bereits zu besichtigen, wie Harmonie zwischen Altsubstanz und maßstabsgerechter Einfügung gelingen kann. Am Neuen Markt, diesem Kleinod für Fußgänger, ergänzen sich liebevoll restaurierte Altbauten wie der ehemalige Kutschstall aufs Schönste mit postmodernen Ergänzungen an der durch anspruchsvolle Nutzungen aufgewerteten nördlichen Platzwand.

Angesichts von so viel Geschichte wird meist übersehen, dass Potsdam zugleich eines der ambitioniertesten stadtplanerischen Vorhaben der Neunzigerjahre überhaupt hat: die Siedlung Kirchsteigfeld im äußersten Südosten. Rob Krier, der Luxemburger Traditionsverfechter, entwarf unmittelbar nach der Wende den Masterplan dieses privat finanzierten Kleinstädtchens wie aus dem Lehrbuch der alteuropäischen Stadt.

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