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Berlin: Armin Hagen (Geb. 1960)

Seinen Hund „Kuschel“ erzog er antiautoritär.

Eine mit rosa Rosen verzierte Schiebermütze, eine randlose Brille, ein bis zum Bauchnabel geöffneter Overall in grellem Pink, Trekkingsandalen, Rosengirlanden vor der Brust und in der Hand ein Fotoapparat – so zeigt eine Fotografie Armin mit seinen Freunden vor einem Einkaufswagen. Am Wagen bunte Luftballons, im Wagen eine Schaufensterpuppe mit einem Schild auf dem Rücken: „Mehr Spaß im Job in Badeslips!“ Er verteilt Flyer mit dem Hinweis auf sein Badehosenmuseum im Internet.

Sandalen trug Armin so gut wie immer, das Rosenoutfit hatte er sich für den Christopher Street Day angefertigt. In der Rezeption der Jugendherberge, seiner Arbeitsstelle, präsentierte er sich in dezenterer Kleidung. Für großen Mummenschanz nutzte Armin die Loveparade, die Fiffi-Parade, den Berlin-Marathon, den CSD oder die Fahrten zum Grand Prix. Alles auf unzähligen Fotos und seiner Homepage für Badehosen oder bei future-rose.com dokumentiert.

Armin sammelte neben Fotos, Schlümpfen, Merian- und GEO-Heften Badehosen. Er archivierte, sortierte, fotografierte und begutachtete sie, schließlich waren es mehr als 8000. Einmal im Jahr veranstaltete er einen Tag der offenen Tür, an dem andere Liebhaber der Badehose seine Sammlung begutachten und anprobieren durften.

Er richtete eine Homepage für sein Badehosenmuseum ein: Über hundertachtzigtausend Fotos, über tausend verschiedenen Kategorien penibel zugeordnet. Dreiecksbadehosen, Strings, Shorts, Badeslips, Tangas, Tops, durchsichtige, glitzernde, schillernde, erotische und langweilige Modelle aus verschiedenen Jahrzehnten, mit und ohne Models und in jeder erdenklichen Situation, am Strand, in Badeanstalten, am Meer, in häuslicher Umgebung. Er bekam Spenden aus den USA und Fundstücke aus Schwimmbädern.

Er war auf einem Bauernhof in Nordbayern aufgewachsen. Dort steht ein großer Weißdornbusch, vor den Armin jeden stellte, der zu Besuch kam. Im Laufe der Jahre, bei jedem Wetter, bei unterschiedlichen Lichtstimmungen hielt er die Momente mit seiner Kamera fest. Zwei Wände in seiner Wohnung waren bedeckt mit Fotos von Menschen vor dem Langenbacher Busch, im Sommer, im Winter, angezogen, nackt. Wie gesagt: Armin war ein Sammler. Mehr als fünfhundert Fotoalben hat er gefüllt.

Armin hatte Textildesign studiert, aber ihm graute bei dem Gedanken, zeitlebens für eine Firma Muster zu entwerfen. Es zog ihn ins Unbestimmte. Er jobbte in einem Hotel in München und landete kurz vor der Wende in Berlin. Bei der Jugendherberge in der Kluckstraße wurde er Rezeptionsleiter.

Und Armin sammelte, er knüpfte Kissen und bunte Wandbehänge, strickte Pullover in bemerkenswerten Farbkombinationen, stickte hochkomplizierte Gobelins, töpferte Fantasiefiguren. Und er schrieb Gedichte, mehr als 5000 waren es zum Schluss. Tagebücher füllte er dutzendweise. Doch eines fehlte ihm: kommerzieller Ehrgeiz. Er hätte vielleicht Fotograf werden können, Textildesigner, Modeschöpfer, Poet – eins von allem, aber doch nicht alles. Jedes Mal, wenn es ernst wurde, wenn eine Anfrage kam, zog er sich zurück. Er wollte sich und anderen das Leben schöner machen, ohne dass ihm jemand reinredete, das war es.

Mit seinem Lebensgefährten gab er gerne Frühlingsfeste. Es gab Sekt, Klaviermusik und Lieder. Sekt gab es bei Armin eigentlich immer. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit: Klingelte Besuch, knallte drei Minuten später der Korken. Armins Gastfreundschaft war so legendär wie der Zustand seiner Wohnung, bevor sein Freund zu ihm zog. Seine Altberliner Wohnung mit Dusche in der Küche verriet, dass Armin Wichtigeres im Kopf hatte, als zu putzen oder Ordnung zu halten. Das Strenge, Disziplinierte lag ihm nicht. Er schaffte viel, aber nur mit Leidenschaft; nie unter Zwang. Kritik führte oft nur dazu, dass Armin sich zum Gegenteil angespornt fühlte.

So erzog er auch seinen Hund „Kuschel“ mehr oder minder antiautoritär. Oft bestimmte der Hund, wo es beim Spaziergang langging. Kein Wort der Ermahnung vom Herrchen. Dafür brauchte der Hund keine Leine. Es gab ein stilles Einvernehmen. Vielleicht war „Kuschel“ dankbar, dass Armin, entschiedener Vegetarier seit Jugendjahren, für ihn eine Ausnahme machte und für sein Futter Fleisch anfasste.

Armin war ein Energiebündel. Er fuhr alle Strecken mit dem Rad, schwamm und entwickelte ständig Neues, wie das „Dreifachscrabbel“, eine Variante mit drei Brettern um länger, intensiver und anspruchsvoller scrabbeln zu können. Auch anderes spielte Armin stundenlang mit Neffen, Nichten, Nachbarskindern, Freunden.

Anfang dieses Jahres diagnostizierten Ärzte bei ihm eine Krankheit namens „Non-Hodgkin-Lymphom“. Es ging rasend schnell bergab. In der Berliner Charité besuchten ihn noch einmal viele Freundinnen und Freunde und nahmen Abschied. „Rosen-Sabine“, mit der er die Kostüme für den Christopher Street Day entworfen hatte, kam aus Schanghai, eine andere Freundin aus Dublin. Uwe, sein Langenbacher Jugendfreund, saß am Krankenbett, genau wie Armins Geschwister. Kurz vor seinem Tod hatte Armin gleich zwei letzte Wünsche: einen Krankentransport nach Langenbach zu seiner Mutter. Und einen dieser rosafarbenen Müllbeutel, die sie in Krankenhäusern verwenden. Niemand wusste, wozu, wohl einfach nur wegen der hübschen Farbe.

Mit dem rosaroten Müllbeutel in der Tasche fuhr Armin gelassen in den Süden, in seine Heimat, in den Tod. Armin lebte statt der von den Ärzten prognostizierten zwei Tage noch vier und war dankbar für jede einzelne Stunde. Anselm Neft

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