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Berlin: Arno Manthe (Geb. 1937)

Text hatte er keinen, dafür einen wilden Bart

Von David Ensikat

Zu Liljas Taufe war Arno eingeladen. Er saß abseits, sah verwegen aus mit seinem zotteligen Bart, er rollte Zigaretten. Gäste fragten Franco, Liljas Vater, wer dieser Herr denn sei. Franco antwortete: Das ist Arno, ein Freund von mir, ein Lebenskünstler.

Er setzte Lilja Arno auf den Schoß und machte ein Foto von den beiden. Arno war stolz: Er und so ein zartes, kleines Wesen. Es kommt nicht oft vor, dass jemand einem wie Arno seine winzige Tochter anvertraut. Einer wie Arno ist kein Lebenskünstler. Dass er Freunde hat, ist eher unwahrscheinlich. Er lebt am Rand, die Leute sehen ihn und wollen ihn nicht sehen. Sie wollen sich nicht vorstellen, wie so ein Leben am Rand wohl ist, kalt, einsam, dreckig. Sie wollen sich nicht vorstellen, dass auch sie dort landen könnten, wenn die Dinge nicht so laufen wie geplant.

Dabei hatte Arno es noch gut getroffen in seinem Verschlag neben dem Theater. Wie und wann ihm die Dinge entglitten sind, weiß niemand genau. Es soll eine Frau gegeben haben, die ihn verlassen hatte, vielleicht gab es auch Kinder, aber mehr als Andeutungen konnte man von Arno dazu nicht erwarten. Am ehesten noch hätte er Franco was gesagt, denn näher als Franco war in den letzten Jahren niemand dran. Er betreibt die Kantine im „Haus der Festspiele“ im gutbürgerlichen Charlottenburg. Als Franco kam, vor 26 Jahren, war das noch die „Freie Volksbühne“, und Arno war schon da. Er hatte sein Matratzenlager im Parkhaus eingerichtet, unter der Auffahrt. Und er wurde hier nicht nur geduldet, er gehörte zum Inventar. Er half hier und da mal aus, es gab sogar Aufführungen, bei denen er auf der Bühne stand. Text hatte er keinen, dafür einen wilden Bart. Damals saß Arno auch noch mit den Technikern des Theaters zusammen und trank mit ihnen Bier. Mit Franco hatte er dann häufiger zu tun, weil Franco ihm beim Essen aushalf, und er Franco bei den Lieferungen.

Irgendwann zog Arno um, aus seinem Verschlag unter der Auffahrt in einen Container neben dem Parkhaus. Da hatten sie früher die Farben drin gelagert. Arno baute ein Fenster ein, Fensterbretter, Tisch und Bett, Strom bekam er vom Theater, die Postanschrift auch. Hier trank er allein sein Bier, und nicht zu knapp, von hier aus grüßte er die Leute, die vorbeikamen, Tach auch, Wie geht’s denn immer so. Von hier aus machte er seine Abstecher zum Lidl in der Meinekestraße und zum Kiosk an der Bundesallee. Das war sein Radius.

In seinen Container ließ er niemanden herein – außer Lilja, Francos Tochter. Sie kam manchmal vorbei und guckte mit Arno Kinderfernsehen. Sie mochte ihn, weil er so lustig war. Sie verstand zwar seine Späße oft nicht, weil er mit den paar übrig gebliebenen Zähnen so nuschelte, aber wenn er sich dann selbst krümmte vor Lachen, war das so komisch, dass sie mitlachte.

Sie erinnert sich, wie er mit ihr einen Pfirsichkern in einem kahlen Blumenkübel verbuddelte und versprach, dass ein Baum rauswachsen würde. Dann guckte sie immerzu nach, aber es kam kein Baum. Manchmal lag ein Hundehaufen da.

So fiel es ihr irgendwann auf, dass Arno ein etwas merkwürdiger Mensch war, anders als die anderen Erwachsenen. Auch roch es bei ihm etwas streng. Aber das war ihr dann egal, er blieb für sie ein lustiger Onkel, bei dem der Fernseher lief, und den sie mochte, weil er sie mochte. Und er mochte sie, weil sie ihn mochte. So bedingungslos ist Zuneigung selten zu haben.

In den letzten Monaten kam Arno kaum noch aus seinem Container. Es ging ihm schlecht, er wurde immer dünner. Franco brachte ihm das Essen und rief schließlich einen Arzt, obwohl Arno ihm das verboten hatte. Nach drei Wochen im Krankenhaus starb Arno. Franco hatte ihn ein paar Mal besucht und sich gewundert, dass Arno immer lachte. Sollte bloß keiner glauben, dass es ihm schlecht ging. David Ensikat

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