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Milliardenschwerer Investor kommt: Wie Kreuzberger Mieter ihr Zuhause verteidigen wollen
Ein skandinavischer Konzern will fast 4000 Wohnungen in Berlin kaufen. Unser Autor wohnt in einer von ihnen. Hier erzählt er, wie die Nachbarn zusammenrücken.
Ein neuer großer Spieler drängt auf den Berliner Wohnungsmarkt: Der schwedische Konzern Heimstaden Bostad des Norwegers Ivar Tollefsen will für 830 Millionen Euro rund 3900 Wohnungen und gut 200 Gewerbeimmobilien kaufen. Der Journalist Christoph M. Kluge, regelmäßiger Autor des Tagesspiegels, lebt in der Lausitzer Straße in Kreuzberg in einem der betroffenen Häuser. Hier schildert er, wie er persönlich die vergangenen Wochen erlebt hat.
Nicht jeden Tag bekommt man einen Brief von Florian Schmidt von den Grünen. Doch am 21. August lag ein Schreiben des Baustadtrats von Friedrichshain-Kreuzberg in meinem Briefkasten. „Wie Ihnen womöglich bereits bekannt ist, hat der bisherige Eigentümer Ihres Hauses einen Kaufvertrag geschlossen“, schrieb er. Das war mir nicht bekannt. Den Nachbarinnen und Nachbarn, mit denen ich kurz darauf im Treppenhaus sprach, wussten auch nichts davon, dass unser Haus verkauft wurde. Aber einige waren beunruhigt, dass der neue Eigentümer die Miete erhöhen oder die Wohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln könnte.

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Das Schreiben des Baustadtrats richtete sich an die Bewohner von insgesamt fünf Häusern, die bisher einer Unternehmensgruppe namens Schönhaus gehört hatten. Der Bezirk prüfe die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht auszuüben, teilte Schmidt mit und lud zu einer Mieterversammlung ein. Die fand einige Tage später in der Kantine des Bezirksrathauses in der Yorckstraße statt. Etwa 50 Teilnehmer waren gekommen, wegen Corona wurden sie auf zwei Runden verteilt, bei geöffneten Fenstern und mit Abstand.
„Der Fall ist politisch brisant“, sagte Florian Schmidt. Bei dem Käufer handle es sich um eine große Unternehmensgruppe aus Schweden namens Heimstaden, die bereits seit 2018 Wohnhäuser in Deutschland aufkauft. Da die fünf Häuser im Milieuschutzgebiet lägen, habe der Bezirk ein Vorkaufsrecht. Das bedeute, dass zum Beispiel eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft oder ein anderer Drittkäufer das Haus kaufen würde. Der müsse allerdings binnen acht Wochen gefunden werden.

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Heimstaden habe außerdem die Möglichkeit, den Vorkauf durch die Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung zu verhindern. Damit würde sich der Verkäufer für 20 Jahre zur Einhaltung sozialer Grundsätze und dem Verzicht auf eine Umwandlung in Eigentumswohnung verpflichten. Doch das habe dieser Investor bisher noch nie getan, fügte der Baustadtrat hinzu.
Viele haben nur befristete Mietverträge
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat das Vorkaufsrecht schon häufig geprüft und ein paar Mal über eine Genossenschaft ausgeübt. Aber die Situation in diesen Häusern ist außergewöhnlich, da viele Wohnungen befristete Mietverträge haben. Ich wohne in einem Kreuzberger Eckhaus, gebaut 1890. Als ich 2006 den Mietvertrag unterzeichnete, gehörte es noch dem dänischen Investor Jørn Tækker. Der verkaufte 2010 an Schönhaus. Der neue Eigentümer renovierte die Fassade und führte ein neues Geschäftsmodell ein: Möbliertes Wohnen auf Zeit.
Jedes Mal, wenn in den vergangenen Jahren ein Mieter auszog, waren bereits am nächsten Tag Bauarbeiter in der Wohnung, um sie eilig zu sanieren. Daraufhin stattete Schönhaus die Wohnungen mit Ikea-Möbeln aus. Und innerhalb kürzester Zeit zog ein neuer Mieter ein, mit einem befristeten Mietvertrag für sechs Monate oder maximal ein Jahr in der Tasche. Die Wohnungen wurden vorrangig ins Ausland vermarktet. Zu hohen Preisen von teilweise über 20 Euro pro Quadratmeter.

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Die Ankündigung eines neuen Käufers brachte den größten Teil der Nachbarn zusammen. Bei Mieterversammlungen lernte ich viele zum ersten Mal kennen. Bisher war man im Hausflur meist aneinander vorbeigelaufen, zu häufig wechselten die Gesichter. Doch nun vernetzten sich die alten und die neuen Mieter in allen betroffenen Häusern. Und das im beeindruckenden Tempo. Schon bald gab es eine Initiative mit dem Namen „Fünf Häuser“, Accounts auf Twitter und Facebook. Mit der Videokonferenzsoftware Zoom sprachen wir mit Mietern von Heimstaden-Häusern im schwedischen Malmö und der norwegischen Hauptstadt Oslo.

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Seither treffen sich einige Mieter regelmäßig. Andere haben sich zurückgezogen. Es gibt Versammlungen für jedes Haus, außerdem für die ganze Initiative. Die bestand zunächst aus fünf Häusern, aber schon in der zweiten Woche stellte sich heraus, dass Schönhaus 16 Häuser verkauft hat. Offenbar, weil das Modell des möblierten Wohnens unter Mietendeckel-Bedingungen nicht mehr so rentabel ist, vermuten wir.
Wenn die Nachbarin auch Anwältin für Mietrecht ist
Der Zufall will, dass in meinem Haus auch die Anwältin Gudrun Zieschang ihr Büro hat. Sie ist auf Mietrecht spezialisiert. Zieschang hat zwei der Mietverträge für möblierte Wohnungen überprüft, die auf ein Jahr befristet sind. Die Juristin hält diese Befristung aber für unrechtmäßig, denn sie sei nicht hinreichend begründet. „Die Befristungsgründe sind vorgeschoben“, meint sie. „Es ist naheliegend, dass versucht wurde, die gültigen Gesetze, etwa die Mietpreisbremse, zu umgehen.“
Gudrun Zieschang empfiehlt den Mietern, ihre Verträge anwaltlich überprüfen zu lassen. Ihrer Ansicht nach können sie bei unzureichender Begründung auch nach Ablauf der Frist in ihren Wohnungen bleiben – und dann die Miete auf das Mietendeckelniveau absenken. Das würde bedeuten, dass Heimstaden mit deutlich geringeren Renditen rechnen könnte als der Vorbesitzer. Und die Neuberliner würden Geld sparen, wenn sie weiterhin in der Stadt leben möchten.
Am Montag erhielt die Mieterinitiative ein Schreiben des Investors Heimstaden: „Im Wissen um die Skepsis der Berliner Bevölkerung und Politik gegenüber großen Immobilienunternehmen werben wir bei Ihnen um Ihr Vertrauen. Wir sind ein langfristig orientierter Investor, der sich um glaubwürdige Partnerschaften mit Mietern, öffentlichen Institutionen und der lokalen Politik bemüht.“ Dieses Werben dürfte nicht einfach sein.