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Um sich anzumelden, müssen Flüchtlinge manchmal Tage warten. Der Berliner Flüchtlingsrat hat die Zustände mehrfach als menschenunwürdig kritisiert.

© dpa

Asylpolitik in Berlin: Kritik an „Chaos“ bei Flüchtlingsaufnahme in Berlin

Um sich anzumelden, müssen Flüchtlinge in Berlin viele Stunden oder gar Tage warten – manchmal in Müll, Schlamm und Rauch. Das provoziert zunehmend Kritik - die Berliner Sozialverwaltung weist alle Vorwürfe zurück.

Von Sandra Dassler

Karim L. (Name geändert) ist müde. Schon am Montag hatte der 30-jährige Flüchtling aus Syrien acht Stunden in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin (ZAA) in der Moabiter Turmstraße gewartet. Dann hieß es, er müsse am nächsten Tag wiederkommen. Nach noch einmal sechs Stunden hat er gegen 15 Uhr endlich einen Bescheid, wonach er sich ins Flüchtlingslager nach Eisenhüttenstadt begeben soll. Die Mitarbeiter des ZAA, das zum Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gehört, haben ihm auch die Bahnverbindungen ausgedruckt, spätestens 21.30 Uhr soll er in Eisenhüttenstadt sein.

Karim hat keine Ahnung, dass Eisenhüttenstadt gar nicht in Berlin liegt, aber nach mehreren Wochen Flucht über die Türkei, Griechenland und Mazedonien, wo man ihn überfallen hat, ist ihm das auch egal. Er will nur noch irgendwo ankommen und schlafen. „In der Türkei ist man freundlicher zu den Flüchtlingen“, sagt er. „Dass Frauen und Kinder in einem solchen Zelt wie hier campieren müssen, habe ich dort nicht erlebt.“

Das Zelt steht auf dem Gelände des Lageso. Es wurde errichtet, als im vergangenen Jahr immer mehr Flüchtlinge kamen und die beiden im Haus eingerichteten Warteräume nicht mehr ausreichten. An diesem Dienstag vor Ostern sind etwa 30 Leute im Zelt. Es ist weder dicht, noch hat es einen Boden. Nicht einmal ein paar Bretter wurden ausgelegt. Pfützen überall, der gelbe Schlauch, mit dem offenbar warme Luft in das Zelt geblasen werden soll, ist zerfetzt, funktionslos. Warum sollte man auch heizen, wenn der Wind durch die losen Planen pfeift?

Warteräume bis auf den letzten Platz gefüllt

Auf einer schmalen Bierbank – andere Sitzgelegenheiten gibt es hier nicht – hat sich eine junge Frau mit ihrem etwa einjährigen Kind niedergelassen. Der kleine Junge ist sichtlich übermüdet, schreit ununterbrochen, vergebens versucht die junge Frau, ihn in den Schlaf zu wiegen.

Sie kommt aus dem Kosovo, ihr zweitjüngster Sohn spielt in den Regenpausen mit anderen Kindern an einem Brunnen vor dem Zelt. Die Vier- und Fünfjährigen, deren Eltern entnervt in der Schlange stehen, haben sich Papierschiffchen gebastelt und lassen sie schwimmen, bis ein Mann, wahrscheinlich der Hausmeister, sie verjagt. Die Kinder rennen ins Zelt zurück, wo gerade ein Security-Mann schweigend ein Schild mit Nummern hochhält. Mehrere Familien folgen ihm ins Haus.

Die beiden Warteräume dort sind bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Stimmung ist gereizt. Ein Mann zeigt sein Attest, auf dem ihm ein Arzt eine schwere Lungenkrankheit bescheinigt hat. Er sei schon seit morgens um acht hier, erzählt er. Andere waren wie Karim L. sogar am Vortag schon da. „Uns Männern macht es ja nichts aus“, sagt einer. „Aber die schwangeren Frauen und Kinder könnten sie doch anders behandeln.“ Schwangere dürften immer als Erste in die Räume, entgegnet ein Sicherheitsmann, der eigentlich nichts sagen darf. „Aber was sollen wir machen? Es sind einfach zu viele.“

Mitarbeiter schieben seit Monaten Überstunden

Das sagt auch ein Sprecher des Lageso. „Was nutzt es, wenn man die Zahl der Bearbeiter verdoppelt, sich aber die Zahl der Asylbewerber vervierfacht?“ Im September vergangenen Jahres zog Sozialsenator Mario Czaja (CDU) die Notbremse und schloss die ZAA für einige Tage. In diesem Monat kamen 1334 Menschen, im Dezember 2015 sogar 2234. Im Januar dieses Jahres waren es 1540, im Februar 1948 und bis 29. März bereits wieder 1543. Die meisten kamen aus Mazedonien, dem Kosovo und aus Syrien.

Die Mitarbeiter würden seit Monaten Überstunden schieben, sagt der Sprecher. Wichtig sei, dass alle Antragsteller am Abend eine Unterkunft hätten – auch wenn sie manchmal am nächsten Tag wieder kommen müssten. Aber selbst der Bürgermeister des Bezirks Mitte, Christian Hanke (SPD), mag sich mit dem Verweis auf steigende Flüchtlingszahlen nicht mehr zufrieden geben. „Das sind chaotische Zustände“, sagte er dem Tagesspiegel. „Ich weiß, dass die Mitarbeiter viel leisten, aber manche Überlastungen könnten durch bessere Organisation vermieden werden. Würde man beispielsweise wie in anderen Bundesländern eine Versicherten-Chipkarte einführen, müssten sich die Flüchtlinge nicht wegen jedes einzelnen Krankenscheins wieder in die Schlangen vorm Lageso einreihen.“

Der Berliner Flüchtlingsrat hat die Zustände mehrfach als menschenunwürdig kritisiert. In der vergangenen Woche schrieb die Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel Ban Ying e. V. einen offenen Brief an Lageso-Chef Franz Allert und Sozialsenator Mario Czaja. Darin werden die Zustände in der ZAA und besonders im Zelt angeprangert. „Es gibt dort kein Rauchverbotsschild und es wird auch nur äußerst nachlässig kontrolliert, ob dort geraucht wird“, heißt es darin. „So stehen Schwangere, Kranke und Eltern mit Kindern im Müll, Schlamm und Rauch und das nicht für ein oder zwei Stunden, sondern bis zu mehreren Tagen ... Dies sind unhaltbare Zustände und nur möglich, weil es sich um Geflüchtete handelt, die häufig nicht über ihre rechtlichen Möglichkeiten informiert wurden.“

Neue Unterkünfte sollen geschaffen werden

Beim Lageso und auch in der Berliner Sozialverwaltung weist man diesen Vorwurf zurück. Man tue alles, um bessere Unterkünfte für Flüchtlinge zu schaffen, heißt es. Das Zelt sei im Übrigen schon am Dienstagabend abgebaut worden – angeblich wegen des Sturms. „Es wird ein neues, besseres Zelt geben“, sagt die Sprecherin Tabea Wilke. „Es soll einen Boden haben und doppelte Wände.“

Karim L. bewohnt inzwischen mit drei anderen Syrern ein Zimmer in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt. Viele hier wollten unbedingt weiter nach Berlin, erzählt er. „Die haben keine Ahnung, was sie dort erwartet.“

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