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Hammed ist vor den Taliban in Afghanistan geflüchtet. Dabei hat er sich eine schmerzhafte Verletzung am Knie zugezogen. In Spandau wartet er seit Monaten - bisher vergeblich - auf eine Physiotherapie.

© Till Rimmele

Asylsuchende in Berlin: Im "Kunstasyl" machen die Bewohner mit

Im "Kunstasyl", einem Projekt der Künstlerin Barbara Caveng in einem Heim für Asylsuchende in Berlin-Spandau, entscheiden Bewohner und Künstler zusammen, wie das Haus zu einer Heimat werden kann. Der Berliner Fotograf Till Rimmele hat den Alltag der Menschen im Heim fotografiert und lässt sie selbst erzählen.

Ein Bett, ein Tisch mit Stuhl und ein Mülleimer mit Deckel stehen jedem Asylsuchenden in Deutschland als Grundausstattung an Mobiliar in einem Heim zur Verfügung.

Laut Duden ist ein Heim jemandes Wohnung oder Zuhause. Alternativ steht der Begriff für eine öffentliche Einrichtung zur Unterbringung einer bestimmten Personengruppe. In diesem Fall Asylsuchende. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hat sich die Zahl der Asylanträge im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Die Menschen kommen aus allen Teilen der Welt. Sie leben in ihrer eigenen Welt, dem Heim. Es wird ihnen in Berlin vom Lageso (Landesamt für Gesundheit und Soziales) zugewiesen. Wie das Leben und Wohnen jenseits dieser Mauern aussieht, erfahren die Berliner nur in Ausnahmefällen. Der Alltag entzieht sich der Vorstellung jener, die ihn nicht erleben oder teilen.

Mitte Februar hat das Kunstprojekt „ Kunstasyl“  der deutsch-schweizerischen Künstlerin Barbara Caveng in einem Spandauer Wohnheim für Asylsuchende begonnen. Entgegen dem üblichen „ Wir bieten euch“  ist es ein „ Was wollt ihr machen?“ Damit ist das Projekt abhängig von der aktiven Beteiligung der Bewohner, sowie der passiven Akzeptanz der Heimleitung. Es wird gemeinsam entschieden, was passiert. Es gibt kein festes Programm. Das Team regt mit Ideen und Vorschlägen an. Dreimal die Woche sind Caveng  und ihr Team vor Ort mit einer wechselnden Besetzung der Bewohner, mit dem Ziel das Heim für die Umgebung zu öffnen. Es soll ein gemeinsamer physischer und sozialer Raum geschaffen werden für Bewohner und Nachbarschaft.

Anfangs dauert es, bis sich  Kunstasyl und Bewohner einander annäherten. Doch durch beharrliche Anwesenheit und die Möglichkeit zur selbst bestimmten Teilnahme trägt das Projekt immer mehr Früchte. Mehr und mehr Bewohner nehmen teil, die Nachbarschaft kommt vorbei, fragt was hier den passiert und beginnt das Kunstasyl zu unterstützen.

Dakel berichtet

Den Einfluss des Projekts auf die Bewohner und ihre Umgebung erklärt Dakel, ein 22 jähriger Jeside aus dem Shingal Gebirge im Irak, am besten selbst:

„ Nach Tagen in dieser unbehaglichen Situation (Anm. nach meiner Ankunft) hörte ich ein Klopfen an der Tür und es war das Team des Kunstasyls, welches mir versuchte zu sagen: Hallo, du bist willkommen. Sie wollten mir und allen anderen im Heim, etwas mitteilen.  Ich ging mit ihnen und versuchte zu verstehen: Wie? Wofür? Was bekommen die dafür?

Nach wenigen Minuten Zusammentreffen von Kunstasyl und uns, dem Heim, dachte ich, dass es mich und die anderen stören wird, aber genau das Gegenteil passierte. Ich glaube Projekte wie das Kunstasyl sind wichtig für die Gesellschaft und schaffen eine bessere Gemeinschaft.

Das Projekt veränderte das Heim in kurzer Zeit und es war nicht ausschließlich der Ort (Anm. der sich  veränderte). Das Kunstasyl spielte mit unseren Gefühlen, und für mich änderte es den Begriff Heim in Heimat als Familie mit mehr als 15 Ländern.

Es ist ein großartiges Projekt, es änderte meinen Geist, meine Gefühle und mein Herz, um Berlin mit jedem Tag mehr zu lieben. Das Kunstasyl hat meiner Meinung nach die Bedingungen der Bewohner beeinflusst und ich sehe es als Brücke zwischen Heim(at) und Außenwelt.

Das Kunstasyl gab mir persönlich Frieden und Sicherheit. Ich sehe es als Weg ins Licht, der Sonne entgegen und es erinnert mich an den berühmten Ludwig van Beethoven. Es erfüllt mich, als ob ich die Symphonien höre und wie man auf Arabisch sagt, ,nur das Herz des Dichters versteht die wahre Bedeutung’.

Eine Übertragung des Projekts auf andere Heime würde uns (den Asylsuchenden) die Möglichkeit zur Kommunikation, zwischen innen und außen geben. Es wird Einfluss auf die Zukunft der Berliner Gemeinschaft nehmen und die Gesellschaft zum Besseren  verändern. Es bietet die Möglichkeit eine offene, eine willkommen- heißende Gesellschaft zu schaffen und baut einen Weg für Kultur und Zivilisation.“

Ist es nicht genau das, was die Deutschen meist Willkommenskultur nennen? Der Zufall meinte es in diesem Fall gut mit Dakel. Doch was ist die vorherrschende Realität für jene, die ihre Heimat verließen und auf Asyl hoffen, in einem fremden Land, in das viele nie ziehen wollten? Zustände, Erfahrungen und Erlebnisse sind von Heim zu Heim unterschiedlich, soviel steht fest. Auch Dakels Erfahrung war fundamental anders. Er berichtet:

„ An meinem ersten Tag (in Berlin) kam ich in das Heim in Hohenschönhausen, am Eingang hielt ich inne- ich öffnete Google Maps um zu prüfen, ob dies wirklich die großartige Stadt Berlin ist und leider war es der Fall. Ich betrat das Büro. Dort war eine freundliche Dame, sie nahm mich in den Schlafsaal. Es war ein Basketballfeld - dort befanden sich etwa 68 Betten und eine Küche in demselben Raum. Meine erste Frage war: ,Wie lange werde ich hier bleiben müssen?’  Sie lächelte und antwortete: ,Ich weiß es nicht.’

Nach 15 Tagen voll Wut, Depression und genervt vom Sicherheitsdienst, änderte das Sozialamt mein Heim und schickte mich nach Spandau wo ich nun lebe. Ich sah das Gebäude und fragte mich, ob irgendjemand darin wohnte. Kevin, der Sicherheitsmann, gab mir ein Zimmer. Es war mit zwei anderen Personen aus Pakistan und Afghanistan belegt. Ich fragte, ob ich in meinem eigenem Einzelzimmer leben könnte. Er sagte, dass dies nicht möglich sei. Danach fragte ich mich, mit Tränen in den Augen, was ich getan hatte, um dies zu verdienen. Wofür ich meine Heimat, mein Haus und meine Familie verloren hatte. Ich wunderte mich, was für ein Ort Berlin ist. Für mich fühlte es sich an wie die Hölle. Ich lief aus dem Heim hinaus, ich konnte an einem solch toten Ort nicht schlafen. Die ersten 20 Tage konnte ich mein Bett nicht verlassen. Meine Zimmergenossen dachten, ich sei verrückt oder krank. Mehrere Tage konnte ich nicht schlafen und ich fragte mich, was für ein schrecklicher Ort Berlin ist. Ich fühlte mich wie in einem Gefängnis und nicht wie in einem ,Heim’ . Der Begriff ,Heim’  bedeutet für mich Ruhe und Geborgenheit - aber genau das vermisste ich in beiden Heimen. Ich fühlte mich nicht willkommen, im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, als würde ich vom Zimmer in die Hölle geworfen werden. Und es gab keine Kommunikation zwischen den Bewohnern der Stadt und mir oder den anderen Neuzugängen.“

In der Hand der Bürokratie

Barbara Caveng und ihr Team, zu dem Dakel zwischenzeitlich gehört, haben gezeigt, dass sich etwas ändern kann, mit Beständigkeit, Beharrlichkeit und der Neugier. Doch den Berg an Bürokratie kann auch dieses Projekt nicht abtragen. Ein Beispiel für verfehlte Bürokratie ist Hameed. Der 21-Jährige aus Afghanistan arbeitete lfür die Amerikaner und will in Deutschland Informations- und Kommunikationstechnik studieren. Eines Tages konfrontierten ihn die Taliban bei sich zu Hause, erzählt er.  Aus Angst türmte er und zog sich einen schmerzhaften Meniskus- und Kreuzbandbandriss zu. So machte er sich unter größten Schmerzen auf nach Europa und landete in Bulgarien. Dort musste er seine Fingerabdrücke bei der Polizei abgeben, angeblich wegen der illegalen Einreise, tatsächlich aber für einen Asylantrag. Hameed selbst wollte dies nicht und protestierte dagegen. Richtige medizinische Versorgung erhielt er von den Behörden nicht. Nach etwa drei Wochen in einem bulgarischen Asylgefängnis ließ man ihn gehen. So machte sich der junge Mann auf nach Deutschland. Er hatte gehört, die Deutschen würden ihm mit der Verletzung helfen. Am 28. Dezember 2014 kam er in Berlin an und meldete sich umgehend bei der Polizei, die ihn zum Lageso  brachte. Er wurde in einer Basketballhalle untergebracht wo sich schließlich Mediziner des Beines annahmen. Im Krankenhaus wurde er operiert, doch um eine Versteifung des Beins zu verhindern, bräuchte er sofort eine Physiotherapie. Auf den Bescheid für die Therapie wartet er immer noch. Dieser liegt irgendwo zwischen Amt und Krankenkasse, die darum streiten wer die Kosten übernimmt. Post bekam Hameed trotzdem- einen Abschiebungsbescheids, mit 14 Tagen Widerspruchsfrist. Den Widerspruch hat er inzwischen eingelegt.

Wer das System ohne größere Probleme durchläuft hat Glück, kann das Heim verlassen, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit freiwillig oder verpflichtend einen Deutschkurs absolviert und darf sich mit dem Problem jedes Neu-Berliners befassen: Eine Wohnung finden, umziehen, ein normales Leben beginnen. Familie Monnem ist ein solcher Fall. Nach acht Monaten im Heim fanden sie eine Wohnung in Spandau, wo die Kinder bereits in die Schule gehen und der Jüngste nun in den Kindergarten kommt. Vater Hussam will wieder als Ingenieur arbeiten, Mutter Ruba möglicherweise als Lehrerin. Wie jede andere deutsche  Familie. Nur aus Syrien.

Till Rimmele

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