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Streitpunkt. Asylsuchende haben immer wieder gegen die Residenzpflicht demonstriert.

© Florian Schuh/dpa

Asylsuchende in Berlin: Polizei erfasst keine Daten zu Residenzpflicht-Verstößen

Die Polizei erfasst nicht, wie viele Asylsuchende in Berlin gegen die Residenzpflicht verstoßen. Doch das Thema wird wichtiger.

Von Ronja Ringelstein

Der Senat weiß nicht, zu wie vielen  Verstößen es gegen die so genannte Residenzpflicht in den letzten Jahren in Berlin gekommen ist. „Die von Ihnen erbetenen Angaben werden statistisch nicht erfasst“, lautet die Antwort der Senatsinnenverwaltung auf die Anfrage des FDP-Abgeordneten Sebastian Czaja. Der wollte wissen, wie viele Verstöße gegen die Residenzpflicht, die in einem anderen Bundesland bestand, seit 2014 in Berlin registriert wurden und in welchen Fällen eine Rückführung der Personen in das jeweilige Bundesland vorgenommen wurde. Doch Polizei und Innenverwaltung erfassen diese Daten gar nicht. Auf Nachfrage des Tagesspiegels, warum eine Erfassung nicht erfolgt, heißt es: Das sei weder gesetzlich geboten noch erforderlich.

Beantragen Menschen in einem Bundesland Asyl, gilt für sie die Residenzpflicht, das heißt: Sie dürfen sich in der Bundesrepublik nicht frei bewegen, meist müssen sie in dem Bundesland bleiben, in dem sie ihren Asylantrag gestellt haben. Allerdings erlischt die räumliche Beschränkung nach drei Monaten, kann gegebenenfalls von der zuständigen Ausländerbehörde neu angeordnet werden.

Die Residenzpflicht war lange Reizthema, Ausgangspunkt etlicher Proteste, Demonstrationen und politischer Streits. 2012 marschierten Flüchtlinge von Würzburg nach Berlin, um gegen die räumliche Beschränkung zu demonstrieren – indem sie sie brachen. Sie veranstalteten Hungerstreiks, besetzten den Pariser Platz am Brandenburger Tor und richteten sich schließlich in einem Zeltlager am Oranienplatz in Kreuzberg ein. Später kam es zur „Refugees Revolution Bus Tour“ durch die Bundesrepublik. Und heute? Sind die Proteste leiser. Und wie die Pflicht durchgesetzt wird, nicht ganz klar.

„Am Ende muss man die Residenzpflicht entweder abschaffen oder Verstöße mit Sanktionen ahnden."

Verstöße werden nach Angaben der Senatsverwaltung meist festgestellt, wenn ein Asylsuchender bei der Ausländerbehörde vorspricht oder wenn die Polizei den Betreffenden aus anderen Gründen kontrolliert. Denjenigen dann selbst in das andere Bundesland zurückzubringen, liegt im Ermessen der Polizei. In der Antwort auf die schriftliche Anfrage von Czaja aber nennt die Senatsverwaltung „Hinderungsgründe“, warum die Polizei Menschen, die gegen ihre Residenzpflicht verstoßen, nicht zurückbringen kann: „fehlende Transport- oder Personalkapazitäten“ und „fehlende Übergabemöglichkeiten der betroffenen Person an die zuständige Aufnahmeeinrichtung“. Da der Grundsatz der Wahl des mildesten Mittels gelte, würden ausländische Staatsangehörige von der Polizei aufgefordert, selbstständig in das Bundesland ihrer Registrierung zurückzukehren.

Sebastian Czaja zieht daraus den Schluss, dass die Residenzpflicht in Berlin keine Anwendung finde. „Am Ende muss man die Residenzpflicht entweder abschaffen oder Verstöße mit Sanktionen ahnden. Dass Polizeibeamte geltendes Gesetz nicht umsetzen können, ist einem Rechtsstaat absolut unwürdig“, sagt er.

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Die Residenzpflicht hat vor allem Symbolcharakter

Matthias Lehnert, Berliner Rechtsanwalt für Aufenthaltsrecht, schätzt die Situation anders ein. „Die Verstöße werden bei erstmaliger Begehung mit bis zu mehren hundert Euro Bußgeld, bei mehrmaligem Verstoß sogar strafrechtlich geahndet“, stellt Lehnert klar. Hier habe die Polizei kein Ermessen. Wo eine Straftat begangen wird, muss ermittelt werden. Dass Berlin die Fälle der Verstöße nicht statistisch erfasse, überrascht ihn allerdings nicht. Denn: Die Residenzpflicht sei ein Restriktionsinstrument, das vor allem Symbolcharakter habe, sagt er. Die meisten Asylsuchenden schrecke die Verpflichtung nach Lehnerts Einschätzung davon ab, dagegen zu verstoßen. „Eine effektiv durchgesetzte Residenzpflicht würde bedeuten, dass man allumfassend Personenkontrollen durchführen muss.“

In der Diskussion um Ankerzentren für Geflüchtete könnte die räumliche Beschränkung allerdings relevanter werden, meint Matthias Lehnert. Denn dort sollen Asylverfahren möglichst schnell durchgeführt und Menschen ohne Bleiberecht von den Zentren aus in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Das wesentliche Instrument hier wäre die Residenzpflichten – und deren Durchsetzung, sagt Lehnert. Ab Mittwoch nehmen erste Ankerzentren in Bayern ihre Arbeit auf.

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