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Termin für den gelben Schein. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass der Arbeitgeber schon ab dem ersten Krankheitstag ein Attest verlangen kann. Dass Berlins Praxen deshalb voller werden, befürchtet aber kaum jemand. Foto: dapd

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Berlin: Auch Krankheit ist Vertrauenssache

Gewerkschaften und IHK sehen die Drei-Tage-Regel nicht gefährdet – trotz der hohen Fehlquote in Berlin.

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Beschäftigte müssen bereits ab dem ersten Krankheitstag ein Attest vorlegen – wenn der Chef es von ihnen verlangt. So urteilte am Mittwoch das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Die Richter bestätigten damit geltendes Recht, demzufolge Arbeitgeber auch ohne Angabe von Gründen auf einem Attest bestehen können. Es ist ein Urteil, dass Arbeitnehmer in Berlin hellhörig machen könnte.

Bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hält sich die Überraschung jedoch in Grenzen. „Die meisten Chefs wussten schon immer von dieser Möglichkeit“, sagt Gewerkschafterin Martina Sönnichsen. Viele Berliner Unternehmen (siehe Kasten) machten jedoch von ihrem Recht nur in Einzelfällen Gebrauch. Daran wird sich nach Einschätzung von Verdi auch künftig nichts ändern. „Wenn Arbeitgeber jetzt auf einem Attest ab dem ersten Krankheitstag bestehen sollten, würde das dazu führen, dass viele Beschäftigte krank zur Arbeit kommen und die Kollegen anstecken“, sagt Sönnichsen.

Die Berliner Industrie- und Handelskammer begrüßt das Urteil. „Natürlich ist es besser, wenn im Betrieb ein vertrauensvoller Umgang herrscht“, sagt Verbandssprecher Christian Breitkreutz. „Wenn allerdings dieses Vertrauensverhältnis einmal beschädigt ist, gibt es nun die Chance für den Arbeitgeber, gegen Missbrauch vorzugehen.“ Genau an dieser Stelle befürchtet Dirk Streifler, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Willkür durch Arbeitgeber. „Das Urteil ist ein Einfallstor für Chefschikane“, sagt der Jurist. Er sieht im Urteil eine „unnötige Stärkung der Arbeitgeber durch den Gesetzgeber“.

Beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) geht man vorläufig nicht davon aus, dass sich Beschäftigte nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes künftig häufiger krankmelden. Auch die Berliner Ärztekammer rechnet nicht mit überfüllten Praxen. „Das sind Einzelfälle, bei denen es vom Arbeitgeber abhängt, wie sich die Lage entwickelt“, sagt Sprecher Sascha Rudat.

Ungeachtet des Erfurter Urteils sind Beschäftigte in Berlin im bundesweiten Vergleich besonders häufig krank. Wie der Berliner Verband der Betriebskrankenkassen (BKK) mitteilte, lag der Krankenstand in Berlin im letzten Jahr bei 5,2 Prozent – und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 4,4 Prozent. Einen Spitzenplatz nimmt ausgerechnet der landeseigene Klinikkonzern Vivantes ein: Beim Pflegepersonal liegt der Krankenstand im laufenden Jahr nach Angaben des Unternehmens bei 7,6 Prozent.

In Berlin sind Arbeitnehmer durchschnittlich 19,1 Tage krankgeschrieben, der Bundesdurchschnitt liegt bei 16 Tagen, teilt der BKK mit. Lediglich in Brandenburg sind Beschäftigte häufiger krank. Nach Angaben der BKK leiden Arbeitnehmer in Berlin zudem immer öfter an psychischen Krankheiten.

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