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Auch S-Bahn stand zwei Stunden still: Nach dem Streik: Was Fahrgäste erlebten

Zwischen 6 und 8 Uhr ging nichts mehr bei Bahn und S-Bahn. Viele Pendler wichen auf U-Bahnen und Busse aus. Doch der Streik traf vor allem Fernreisende und Berliner aus Randbezirken, die auf die S-Bahn angewiesen sind.

Das Reisezentrum am Hauptbahnhof ist voller Menschen. Sie sehen müde aus, einige sind auf den roten Bänken eingenickt. Eine Frau strickt einen Schal. Es ist ungewöhnlich ruhig. Morgens um halb sieben hat wohl niemand Lust auf Diskussionen. Nur ab und zu kommt ein Reisender durch die Glastür und schaut entgeistert auf die Anzeigetafel, die für die meisten Züge etwa zwei Stunden Verspätung anzeigt. Bis 8 Uhr sollte der Streik der Lokführer dauern, das hatte ihre Gewerkschaft GDL am Montag angekündigt. Doch nicht jeder hatte am Abend Nachrichten geschaut oder am Morgen Radio gehört. Eine etwa 25-Jährige schimpft in ihr Handy. "Ich versuch' doch jetzt nicht zum Ostbahnhof zu trampen, also echt", weist sie offenbar den Ratschlag ihres Gesprächspartners zurück. Genervt zieht sie ihren Koffer hinter sich her. Sie will nach Hannover.

Drei Frauen aus Polen stehen in der Eingangshalle und reden aufgeregt aufeinander ein. Sie müssen in Warschau einen Anschlusszug erreichen. Nein, von dem Streik habe sie nichts gewusst, sagt eine von ihnen und schüttelt den Kopf. Und nein, sie habe auch kein Verständnis für die Lokführer. Sie friert. Ein Bahnmitarbeiter schenkt kostenlos heißen Tee aus, vier verschiedene Sorten hat er im Angebot. Eine Nettigkeit der Deutschen Bahn sei das, sagt Bahnhofchef Thomas Hesse. Er glaubt, dass viele Pendler und Reisende schon vor 6.00 Uhr den Sprinter nach Frankfurt genommen haben. "Die sind längst weg."

Am Bahnhof Friedrichstraße ist der Fahrgastandrang um 6:20 Uhr noch überschaubar. Auf die Regionalbahn warten gerade mal drei Menschen, am oberirdischen S-Bahn-Gleis (Potsdam-Ahrensfelde) sind es auch nicht viel mehr. Viele sind wahrscheinlich auf U-Bahn oder Bus ausgewichen. Allerdings: Diese wenigen Fahrgäste sind alles andere als angetan von der Situation. Ein etwa 40-jähriger Mann möchte nach Hause nach Erkner und ist aufgebracht: "Es ist einfach ein Never-Ending-Chaos bei der Deutschen Bahn. Wenn ich zusammenzähle, wie lange ich diesen Winter schon in der Kälte gestanden habe... Also ich bin stinksauer."

Die S-Bahn pendelt an diesem Morgen sporadisch zwischen Spandau und Friedrichsstraße, in Richtung Alexanderplatz ist schon seit über dreißig Minuten kein Zug mehr gefahren. Die Ansage empfiehlt, zum Ostbahnhof auf den Bus und in Richtung der östlichen Bezirke auf U-Bahn und Tram auszuweichen. Ebenfalls von der Nachtschicht kommt der 34-jährige Andy Hinz: "Ich war natürlich informiert über den Streik, aber ich habe bis 6 Uhr gearbeitet, wie soll ich denn sonst nach Strausberg kommen?". Die beiden wohl kurzfristig zu Kundenberatern umfunktionierten Mitarbeiter von DB-Sicherheit geben zwar Auskünfte zum Fahrplan, auf den Ärger der Fahrgäste reagieren sie allerdings ziemlich unprofessionell: "Naja, nach Hause wollen wir schließlich alle", pampt einer in Richtung eines Fragenden.

Auch an den unterirdischen S-Bahn Gleisen sind vor allem die Kunden betroffen, die einen vergleichsweise weiten Weg haben. Christopher Leiblich ist Tischler in Lichterfelde und wartet bereits seit einer Stunde auf die S25 in Richtung Teltow-Stadt. Dem 25-Jährigen bleibt auch nichts Anderes übrig: "Ich habe keine Alternative, ich bin auf die S-Bahn angewiesen." Für den Streik hat er "überhaupt kein Verständnis", er ärgert sich vor allem über den Service der Bahn: "Man bekommt überhaupt keine Informationen. Der Service-Point ist unterbesetzt und komplett überfüllt." Eine Mutter auf dem Nachbargleis hat einen Knirps an der Hand und beschwert sich über das Timing der GDL: „Das ist der kälteste Tag seit langem und ausgerechnet heut wird gestreikt. Mein Kind friert, das macht mich wütend.“

Sich aufwärmen, dass wollen alle Wartenden an diesem Morgen - auch am Hauptbahnhof. Wenn sie nicht im Reisezentrum sitzen, stehen sie in den kleinen Läden, betrachten die Bücher im Zeitschriftenladen, kaufen belegte Brötchen und Cappuccino. Der Morgen zieht sich in die Länge. Ein Mann hat Glück, sein Zug ist nur eine halbe Stunde verspätet. "Streik ist ein legitimes Mittel", zeigt er sich verständnisvoll. Ein etwa 20-Jähriger ist auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch. Sein Verständnis für die Streikenden hält sich in Grenzen. Eine Gruppe Reisender fährt mit zwei Autos weiter, das Geld für die Zugtickets wollen sie sich zurückerstatten lassen. Sie seien selbst in der Verkehrsbranche und könnten den Wunsch nach einem Tarifvertrag gut verstehen, meint einer von ihnen.

"Wir wollten ein Signal setzen, dass die Arbeitnehmer für ihr Ziel kämpfen", sagt GDL-Vorsitzender Claus Weselsky. Auch er steht in der Bahnhofshalle und friert. 80 Prozent der Lokführer streikten, berichtet er. "Ein bisschen Pech" sei es für diejenigen, die jetzt in der Kälte auf ihren Zug warten müssten. Viele seien es aber nicht, der Bahnhof sei viel leerer als sonst. "Die Leute sind ja nicht auf den Kopf gefallen." Länger als zwei Stunden sollte der Streik nicht dauern. Weselsky hält sein Versprechen. Um 8.02 Uhr ertönt auf dem S-Bahnsteig die Ansage: "Nach Erkner, einsteigen bitte." Am Gleis gegenüber fährt ein Regionalexpress ein.

Christine Cornelius, Ferdinand Dyck

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