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Berlin, hinter den Ministergärten, das Gelände des ehemaligen Führerbunkers mit einer Schautafel und Touristen.

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Spuren der letzten Kriegstage: Hitler stirbt im Minutentakt

Am Ort des "Untergangs": Ausländische Besuchergruppen suchen rund um die Wilhelmstraße nach Spuren der letzten Kriegstage.

Der Parkplatz liegt mitten in der Stadt, zwischen Brandenburger Tor und Mall of Berlin. Er wirkt unscheinbar. Hier eine Schranke, dort ein grüner Blechbehälter zur Altkleidersammlung, dahinter Autos, hässliche Büsche und ein lieblos gestalteter Kinderspielplatz. Dies alles gesäumt von Plattenbauten des letzten DDR-Jahrzehnts. In den achtziger Jahren war das eine luxuriöse Wohngegend. Katharina Witt hat hier mal gewohnt, doch sie ist längst weitergezogen. Die Häuser und ihre Mieter sind in die Jahre gekommen. Prominente gibt es hier nicht mehr. Nur einen, und der ist seit 70 Jahren tot.

Seinetwegen kommen Tag für Tag mehr als 100 Touristengruppen hierher. Erstaunlich viele junge Leute, doch auch ältere mit historischem Interesse. Sie kommen aus England, Schweden, Chile, Spanien, den USA, Frankreich, Japan; kurzum, aus aller Welt. Nicht jedoch aus Deutschland, geschweige denn aus Berlin. Berliner, die sonst alles wissen, haben meist keine Ahnung, wo genau dieser Ort liegt. Der Ort, an dem Hitler sich erschossen hat und sein Leichnam verbrannt wurde. Der Ort des „Führerbunkers“.

Heute stirbt Hitler hier im Minutentakt. Die Gruppen stehen dicht gedrängt um ihre Fremdenführer, die mit dramaturgischer Finesse die letzten Tage des Diktators schildern. Amerikanische tourist guides tragen gern etwas dicker auf: „Er bewegt sich langsam, leidet unter Magenbeschwerden und starken Blähungen. Am 29. April heiratet er Eva Braun. Am ersten Tag des Honeymoon gibt er Eva die Giftampulle und erschießt sich selbst.“

Verschwörungstheorien werden zum Besten gegeben

Die englischen Guides wahren eher Distanz: „Er fühlte sich zunehmend von den russischen Streitkräften eingeschnürt. In den letzten Tagen wurde die Reichskanzlei ständig von Artillerie beschossen, die Einschläge waren bis in den Bunker mit seinen 3,5 Meter dicken Wänden spürbar.“ Sie zeigen Fotos in die Runde: Hier sein Arbeitszimmer, dort Evas Ankleideraum, dort der Raum der Lagebesprechungen.

Die italienischen Fremdenführer erinnern an den Tod Mussolinis, der, wenige Tage vor Hitlers Selbstmord, in Mailand an den Füßen aufgehängt und zur Schau gestellt wurde. Ein solches Bild wollte Hitler um jeden Preis vermeiden, deshalb die Verbrennung. Die Fremdenführer betonen, wie schwierig es ist, einen Leichnam mit Benzin zu verbrennen, zumal unter Artilleriebeschuss.

Auch die Legenden um den Verbleib von Hitlers Leiche sowie ein paar ulkige Verschwörungstheorien, er sitze unter dem Südpol, werden zum Besten gegeben. Trotz der Sommerhitze gruselt es bald allen ganz gehörig. Nachfragen? Was war mit Eva Braun, wollen viele Frauen wissen. Und mit Blondi, seinem Schäferhund?

Berlin, hinter den Ministergärten, das Gelände des ehemaligen Führerbunkers mit einer Schautafel und Touristen
Berlin, hinter den Ministergärten, das Gelände des ehemaligen Führerbunkers mit einer Schautafel und Touristen

© Kai-Uwe Heinrich

Unser Hitler-Bild ist entscheidend von Bruno Ganz geprägt. Er hat dafür gesorgt, dass uns ein privater, abgewrackter Hitler mit zitternder linker Hand und serviler Höflichkeit der Köchin gegenüber in Erinnerung ist. Das gilt für Amerikaner, Engländer und Franzosen wie für uns Deutsche.

Die Stadt will nichts damit zu tun haben

Die Generation der digital natives denkt bei Hitler vor allem an die Szene des Tobsuchtanfalls vor den Generälen aus dem Film „Der Untergang“. Sie hat vor fünf Jahren eine steile Internetkarriere gemacht, indem über das Original englische Untertitel gelegt wurden: „Hitler erfährt, dass das iPhone 6 noch nicht ausgeliefert wird“ oder „Hitler erfährt, dass die Lederhosen bei Primark ausverkauft sind“ usw. Hitler als spätpubertärer Teenie mit Wutanfällen wegen Nichtigkeiten – auch eine Form der Verarbeitung. Die Jugendlichen kichern hysterisch. „Creepy“, sagen sie und ziehen weiter.

Die Führungen zum „Führerbunker“-Parkplatz gehören zu einem Fremdenverkehrsformat, das Dark Tourism genannt wird. Oft ist es städtisch oder staatlich konzipiert, wie etwa, einige Schritte weiter, das Holocaust-Denkmal oder die Topographie des Terrors hinter dem Finanzministerium. Doch der Hitlerparkplatz ist der reine Wildwuchs.

Die Stadt will nichts damit zu tun haben. Man wollte nicht einmal eine Tafel aufstellen. Die Informationstafel, die jetzt dort steht, neben der Altkleidersammlung, stammt vom Verein „Berliner Unterwelten“, der den ausländischen Besuchern zur Weltmeisterschaft 2006 zumindest die nötigsten Antworten geben wollte.

Viel historisches Anschauungsmaterial

Auf den jetzigen Führungen wird das Verhalten der Stadt kritisch diskutiert. Manche Besucher finden es schäbig, das historische Gelände als Parkplatz verkommen zu lassen. Hitler werde so noch zusätzlich mythologisiert. Andere begrüßen das demonstrative Desinteresse am einstigen Diktator.

Dann ziehen die Gruppen weiter, die Gegend um die Wilhelmstraße bietet noch viel historisches Anschauungsmaterial. Die pompöse Neue Reichskanzlei umfasste einst den ganzen Straßenzug. Heute sind hier Parkplätze für Supermarktkunden und Plattenbauten mit kleinen Geschäften wie dem Friseursalon „Valentina“.

Das Restaurant „Peking Ente“ hat wegen der vielen touristischen Nachfragen eine Schautafel aufgestellt: „Reichskanzlei 1870 – 1945, seit 1999 Peking Ente“. Das einstige Propagandaministerium gegenüber wird wieder staatlich genutzt, der Gebäudeflügel wird allerdings zur Wilhelmstraße hin von einem Plattenbau maskiert.

Dort befinden sich jetzt Schule, Kita und Jugendklub Ikarus. Fun fact zum Abschluss vieler Führungen: Der rote Marmor der Wände der U-Bahnstation Mohrenstraße war einst der Fußboden der Eingangshalle der Neuen Reichskanzlei.

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