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Berlin: Auf den Spuren eines sanften Revolutionärs

Der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer wäre am 4. Februar 100 Jahre alt geworden Für Philipp Enger ist der Nazigegner Vorbild. Er istPfarrer in Prenzlauer Berg, wie jener es vor 75 Jahren war

Turnen und Religion sehr gut, Mathematik mangelhaft. Der 15-jährige Dietrich Bonhoeffer war kein Musterschüler. Archivarin Jutta Weber hat im zweiten Stock der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße zwischen Fotos, Briefen und Vortragsmanuskripten sein Zeugnis aus dem Jahr 1921 hervorgezogen. In 25 Archivkästen lagert hier der Nachlass des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers, den die Nazis am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet haben. Am Sonnabend würde Bonhoeffer 100 Jahre alt werden. Wir haben nach seinen Spuren in Berlin gesucht.

„Das war keiner, der fromm im Kämmerlein saß“, sagt Jutta Weber und zeigt eine vergilbte Postkarte, „der hat das Leben genossen.“ Bonhoeffers Gesicht ist auf das Foto eines spanischen Toreros montiert, der mit einem Stier kämpft. Er hat die Postkarte aus Barcelona an seine Eltern in Berlin geschickt. Adresse: Wangenheimstraße 14. Die Bonhoeffers waren mit ihren acht Kindern 1915 in die weitläufige Villa in Grunewald gezogen. Das Haus mit den hohen Giebeln steht noch. Vater Karl Bonhoeffer leitete die Nervenklinik der Charité. Nachbarn im noblen Grunewaldviertel waren Max Planck oder Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident. In der Wangenheimstraße 14 wurde viel gefeiert. „Bei den Festen wurde nie nur gegessen und getanzt“, erinnert sich eine der Schwiegertöchter. Man verkleidete sich, führte Sketche auf, machte Musik. Während seine Brüder sich für Naturwissenschaften interessierten, wollte Dietrich schon mit 14 Jahren Theologie studieren. 1930, als 24-Jähriger, war er ausgebildeter Pfarrer und Professor.

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„Bonhoeffer ist ein Vorbild für mich“, sagt Philipp Enger, 36 Jahre alt. Er ist Pfarrer und arbeitet im Bildungswerk der evangelischen Landeskirche. Enger schließt die schwere Tür der Zionskirche in Prenzlauer Berg auf und erzählt, wie sich Bonhoeffer als 25-Jähriger hier um 50 Konfirmanden kümmerte, mit denen sonst keiner klarkam. Die Zustände im Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg seien katastrophal gewesen, ein Drittel der Schulabgänger konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten. Bonhoeffer war geschockt, sagt Philipp Enger. Da sieht man furchtbar viel Elend, habe er einem Freund geschrieben, und dass viele Kinder nicht mal Schuhe an den Füßen hätten. Die Jungen habe er gleich in der ersten Konfirmandenstunde für sich eingenommen. Er erzählte ihnen Bibelgeschichten und fragte nach ihrer Meinung. „Das war eine Revolution“, sagt Enger. „Damals hat man im Konfirmandenunterricht den Katechismus auswendig gelernt, fertig. Die Pfarrer dachten sowieso, diese Arbeiterjungs sind alle doof.“ Dass jemand sie nach ihrer Meinung fragte, habe die Kinder unglaublich beeindruckt. Bonhoeffer nahm sich in der Oderberger Straße ein Zimmer. „Er wollte mit seinen Jungs zusammenleben“, sagt Enger. Er brachte ihnen Schach und Englisch bei, lud sie zum Essen ein und spielte mit ihnen Fußball. Für die Konfirmation kaufte er Stoff, damit sich jeder einen Anzug schneidern lassen konnte. Neben der Kirche steht eine Bronzeplastik. Von vorne sieht sie aus wie ein Kreuz, von der Seite wie eine zum Gebet knieende Person. „Wie er gelebt hat, sich ganz und gar auf die Menschen eingelassen hat, ist das Faszinierende“, sagt Philipp Enger.

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Bonhoeffer wäre gern in Prenzlauer Berg geblieben.1933 bewarb er sich dort um eine Pfarrstelle. Als die evangelische Kirche einen „Arierparagraphen“ einführte, zog er seine Bewerbung zurück. Mit solchen Kollegen, die sich nun „Deutsche Christen“ nannten, wollte er nicht arbeiten. Er fühlte sich der „Bekennenden Kirche“ nahe, die sich schon bald als Opposition zu den „Deutschen Christen“ gründete. Bonhoeffer bildete für die Bekennende Kirche Pfarrer aus, auf einem Gutshof in Finkenwalde, in der Nähe des heute polnischen Stettins.

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„Er machte keine großen Worte, sondern tat was“, sagt Albrecht Schönherr, 94 Jahre alt. Er war einer der angehenden Pfarrer im Finkenwalder Predigerseminar, später wurde er Bischof in Ost-Berlin. Um zu verdeutlichen, was er meint, erzählt er, was am ersten Abend passierte: Nach dem Essen fragte Bonhoeffer, wer mit ihm den Abwasch macht. Keiner meldete sich. Da schloss sich der Lehrer in der Küche ein und machte alles alleine. „Das war uns so peinlich, so etwas ist nie mehr passiert“, sagt Schönherr. Wie bei den Jungs in Prenzlauer Berg, war auch im Predigerseminar Leben und Arbeiten eins. Denn Religion sei für Bonhoeffer keine Privatsache gewesen, sondern etwas, was sich im Zusammenleben mit anderen ereignet – und indem man das Leiden der anderen teilt, auch wenn sie keine Christen sind. Schon im April 1933 hatte Bonhoeffer die Judenverfolgung klar und deutlich verurteilt, als erster und fast einziger deutscher Theologe.

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1935 zogen die Eltern Bonhoeffer in die Marienburger Allee 43 in Charlottenburg. Das Haus ist heute eine Gedenkstätte. In Dietrich Bonhoeffers Studierzimmer stehen die Regale und der Schreibtisch noch so wie am 5. April 1943, als ihn Männer der Gestapo hier abholten und für fast zwei Jahre im Militärgefängnis in Tegel einsperrten. Die Kirche habe die Aufgabe, „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“, hatte er 1933 geschrieben. Über seinen Schwager Hans von Dohnanyi schloss er sich den Verschwörern an, die das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 planten. „Da wir alle über die Notwendigkeit zu handeln einig waren und meine Söhne sich im Klaren waren, was ihnen bevorstand, im Falle des Misslingens des Komplotts, sind wir traurig, aber auch stolz auf ihre gradlinige Haltung“, schrieb der Vater Karl Bonhoeffer im Oktober 1945.

Heute um 18 Uhr wird eine Gedenktafel an der Kirche St. Matthäus am Kulturforum enthüllt. Bonhoeffer wurde 1931 hier ordiniert. Die Tafel hat der Künstler Johannes Grützke entworfen. Am 3. und 4. Februar zeigt die Staatsbibliothek Fotos, Briefe und andere Dokumente Bonhoeffers; am 3. von 9 bis 21 Uhr, am 4. von 9 bis 19 Uhr. Am Sonntag um 9. 30 Uhr findet in St. Matthäus ein Festgottesdienst statt.

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