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Berlin: Auf der Anklagebank: Mutter wollte ihre Söhne und sich selbst töten

In der Stimme schwingt keine Erregung mit. Routiniert verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift.

In der Stimme schwingt keine Erregung mit. Routiniert verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift. Er spricht über die Nacht, in der Alice D. sterben und ihre zwei Söhne mit in den Tod nehmen wollte. Die Nacht, als die 43-Jährige das eigene Haus ansteckte und Dennis mit einem Hammer auf den Kopf schlug. Ruhig klingt die Stimme des Anklägers, doch die Frau vor der Richterbank scheint jedes Wort wie ein Hieb zu treffen. Vor die Augen hält sie ein Taschentuch gepresst, dann sagt sie: "Ja, ich muss darüber sprechen."

Doch bevor Alice D. zu erzählen beginnt, werden die Zuschauer des Saales verwiesen. Weil im Moabiter Kriminalgericht auch darüber verhandelt wird, ob die Reinickendorferin dauerhaft in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik untergebracht werden soll, will man die Privatsphäre der Angeklagten schützen. Für das Publikum in Saal 500 wird es deshalb bei den kursierenden Gerüchten bleiben: Dass der Ehemann, ein 43-jähriger Polizist, ein Verhältnis hatte. Dass er plante, die Familie zu verlassen. Dass seine Frau deshalb mit den Söhnen sterben wollte.

Als sicher gilt, dass Alice D. am späten Abend des 11. Oktober 1999 in ihrem Reinickendorfer Wohnhaus umherwanderte. Zuweilen ließ die ehemalige Physiotherapeutin auf ihrem Rundgang ein Kleid fallen, das sie mit Benzin übergoss und anzündete. Dann ging die unglückliche Frau in das Zimmer von Dennis, ihrem 12-jährigen Sohn, und schlug dem Jungen mit einem Hammer auf den Kopf. "Damit er nicht bei Bewusstsein verbrenne", sagt der Staatsanwalt. Das Kind erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Nasenbeinfraktur. Außerdem wurde durch die Schläge das Sprachzentrum im Gehirn des Jungen geschädigt.

Neben dem Bett ihres Sohnes muss Alice D. dann doch noch zu Sinnen gekommen sein. Um Dennis zu retten, weckte sie laut Anklage den 15-jährigen Allan und schickte ihn, Hilfe zu holen. Den schwer verletzten Dennis zog sie ans Fenster, um ihn vor dem Rauch zu schützen. Den Feurwehrleuten gelang es wenige Minuten später, beide aus dem zweigeschossigen Haus zu retten. Allan kam mit einem Schock davon.

Alice D. ist gebürtige Brasilianerin. Ihre Eltern sollen unweit von Rio de Janeiro eine Fischfarm betreiben. Seit der Familientragödie lebt die 43-Jährige in der Nervenklinik. Der Staatsanwalt hat die Frau wegen Brandstiftung und schwerer Körperverletzung angeklagt. Der Vorwurf der versuchten Tötung blieb ihr erspart: Weil sie von der ursprünglichen Absicht abließ und alles ihr Mögliche für die Rettung ihres Sohnes unternahm. "Rücktritt vom Versuch", nennen Juristen diese Fälle. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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