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Insulaner. Auf Baumwerder verbietet ein Schild das Betreten. Nur Volker Jordan und seine Kollegen von den Wasserbetrieben dürfen hierhin, um die Brunnen zu warten.

© Alexander Becher

Auf der gesperrten Insel Baumwerder: Unbekanntes Land im Tegeler See

Die Insel Baumwerder ist ein verbotener Ort – weil die Natur geschützt und Trinkwasser für 100 000 Berliner gewonnen wird. Wer den Stadtplan absucht, findet drei Dutzend Inseln in Berlin - mit vielen Geheimnissen.

Für Volker Jordan ist der Traum von der einsamen Insel nur fünf Bootsminuten entfernt. So lange braucht der offene Lastkahn der Berliner Wasserbetriebe vom Südufer des Tegeler Sees bis zur Insel Baumwerder. „Anlegen und Betreten verboten“, steht auf einem Schild am Steg, und zur Bekräftigung ragt am landseitigen Ende ein Zaun mit Tor empor. Jordan, Brunnenmanager bei den Wasserbetrieben, schließt die Tür auf zu diesem verbotenen Stück Berlin. „Nicht erschrecken“, sagt er, „hier auf der Insel gibt’s Wildschweine“. Wie viele? „Massig!“

Der Ausflug verspricht interessant zu werden. Die Wasserbetriebe haben hierher eingeladen, weil im Untergrund dieser Wildnis das Trinkwasser für bis zu 100 000 Berliner gewonnen wird. Zehn von rund 130 Brunnen des Wasserwerks Tegel befinden sich hier. Außerdem drei offene Becken, in die gefiltertes Seewasser gepumpt wird, um zu versickern und Monate oder sogar Jahre später als Grundwasser bei Brunnen anzukommen. Auf seinem Weg in 40 Meter Tiefe wird es zunächst vom Boden und den darin lebenden Mikroorganismen gereinigt. Und weil noch weiter unten mangels Sauerstoff nichts mehr lebt, kommt es keimfrei an und muss nicht gechlort werden.

Aber bis dahin ist es ein weiter Weg, der bei den Fröschen beginnt, die an den Ufern der Sickerbecken quaken – irgendwo hinter den Brennnesseln und Wildkräutern, die brusthoch wuchern. Wo die hohen Laubbäume dichter stehen, ist es zu dunkel für solches Gebüsch. Wo sonst Wege durch den Wald führen, gibt es nur Wühlspuren von Schweinenasen, auf dieser Insel, deren 300 Meter Durchmesser sich im Dickicht verlieren.

Vor Jahrzehnten hat sogar ein Brunnenwart mit Frau und Tochter auf Baumwerder gelebt. Der Käpt’n des Lastkahns erinnert sich, dass vor ein paar Jahren mal eine ältere Dame auf die Insel wollte. Es sei die Tochter gewesen, „aber wir dürfen ja niemanden rauflassen“. Auch sie selbst seien selten da, weil die Naturschützer um Ruhe bitten. Die Graureiher auf den toten Bäumen zwischen den Seerosen am Ufer werden also nur selten gestört.

Im Grunde ist der ganze Tegeler See von Trinkwasserbrunnen umgeben. Der größte sitzt unter der Nachbarinsel Scharfenberg, auf der ein Gymnasium residiert. Fünf der sieben Inseln sind unbewohnt, werden allenfalls von Kleingärtnern genutzt. Solche Schreber-Inseln gibt es auch im Berliner Südosten, in Dahme und Spree. Wer den Stadtplan absucht, entdeckt sogar drei Dutzend grüner Flecken inmitten des Blaus. Mehrere sind aus Naturschutzgründen gesperrt, davon zwei im Szenebezirk Friedrichshain-Kreuzberg: Auf dem Kratzbruch und der Liebesinsel im Rummelsburger See tobt höchstens die Amphibienszene. Derk Ehlert, Wildtierbeauftragter des Senats, weiß von Vogelarten, die ihre Ruhe nur auf Inseln finden: Auf Imchen vor Kladow brüten Kormorane und Reiher. Auf Baumwerder habe mal ein Seeadler sein Nest gebaut, aber sei dann wohl doch von Booten gestört worden. Auf der eingeschränkt zugänglichen Havelinsel Kälberwerder brüten Graugänse, nahe Baum- und Valentinswerder lebe ein Biber.

Im Berliner Südosten beflügeln Namen wie Bullenbruch, Nixenwall und Dommelwall die Fantasie. Auf einem sumpfigen Flecken im Seddinsee hauste zeitweise ein Einsiedler, der als Plünderer und Brandstifter mehrerer Jachten überführt werden konnte. Erst 2004 kam er vor Gericht und hinter Gitter.

Volker Jordan hat seine Brunnenshow beendet und steigt wieder ins Boot. Im Mittel sei das Wasser zwölf Jahre alt, wenn es gefördert werde. Der Tegeler See ist ein guter Spender, seit er in den 1980ern jene Reinigungsanlage erhalten hat, die ihn vom Phosphor befreit, das der Nordgraben vom Klärwerk Schönerlinde her in den See trug und das ihn im Sommer buchstäblich erblühen ließ.

Allein das Tegeler Wasserwerk steuert rund 20 Prozent zur Versorgung der Berliner bei. Nur das am Großen Müggelsee liefert mehr. Dort sorgen sich Anwohner jetzt ums Trinkwasser, wegen der Flugzeuge vom BER später. Jordan, der auch Herr über drei offene Versickerungsbecken in Verlängerung der nördlichen Tegeler Startbahn ist, sagt: „Die Einflugschneise hat uns noch nie beeinflusst.“ Er zeigt dann die Becken, in die Wasser aus dem Tegeler See gepumpt wird. Es ist mühsam, seinen Erklärungen zu folgen, weil alle zwei Minuten ein Flugzeug seine Worte schluckt. Gerade in diesen Ferienzeiten sind die Maschinen oft voller Menschen, die ihre einsame Insel suchen. Dabei müssten sie gar nicht weit weg.

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