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Berlin: Auf der Kippe

Berlin sei doch gar nicht so schlecht dran, hatte der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel 2001 gesagt. Obwohl sich der Schuldenberg der Hauptstadt seitdem um weitere 19 Milliarden Euro erhöht hat, hält der Bund an dieser Einschätzung fest.

Berlin sei doch gar nicht so schlecht dran, hatte der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel 2001 gesagt. Obwohl sich der Schuldenberg der Hauptstadt seitdem um weitere 19 Milliarden Euro erhöht hat, hält der Bund an dieser Einschätzung fest. Berlin sei in keiner extremen Haushaltsnotlage und habe deshalb keinen Anspruch auf Hilfe. Am kommenden Mittwoch treffen sich beide Seiten vor dem Bundesverfassungsgericht, das feststellen soll, wer Recht hat.

Die mündliche Verhandlung wird den Richtern wohl kaum neue Erkenntnisse bringen. Berlin und der Bund haben Gutachten, Gegengutachten und Stellungnahmen zu den Gegengutachten geliefert. In Karlsruhe türmen sich Aktenberge. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen, die viel Geld in den Länderfinanzausgleich einbringen, haben sich schon 2004 auf die Seite des Bundes geschlagen. Auch Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben eine „Nord-Allianz“ gegen Berlin geschmiedet. Bremen und Saarland, die zehn Jahre lang milliardenschwere Bundeshilfen erhielten, aber trotzdem nicht aus ihrer Haushaltsnotlage herauskamen, klagen selbst noch einmal vor dem Bundesverfassungsgericht und es könnte sein, dass auch Sachsen-Anhalt bald Sanierungshilfen des Bundes fordert. Elf von 16 Bundesländern müssen 2006 so viele neue Kredite aufnehmen, dass sie keinen verfassungsmäßigen Haushalt mehr vorlegen können.

Die föderale Finanzverfassung steht auf der Kippe. Vielleicht hilft das Verfassungsgericht, indem es verbindliche Leitlinien für eine Reform vorgibt. Nach Meinung des Verwaltungswissenschaftlers Folke Schuppert (Wissenschaftszentrum Berlin) braucht Deutschland ein „Haushaltsnotlagen-Regime“. Die Karlsruher Richter müssten sich der Rolle eines Krisenmanagers entziehen und den Gesetzgeber „dezidiert in die Pflicht nehmen, ein Grundsätzegesetz vorzulegen, das die Bewältigung von Haushaltskrisen im Bundesstaat regelt“. Für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die zwischen Mai und Juli 2006 fallen soll, regt Schuppert an, dass Berlin mit dem Bund einen Sanierungsvertrag abschließen muss, der „alle Rechte und Pflichten ausbuchstabiert“ – als Testfall für alle künftigen Haushaltsnotlagen.

Oft wird gefragt, ob die Hauptstadt nicht durch eigenes Verschulden in die prekäre Finanzlage gerutscht ist. Denn trotz aller Sparerfolge werden die Zinslasten jedes Jahr größer. 2,4 Milliarden Euro sind es in diesem Jahr, 2009 schon 2,9 Milliarden Euro. Da nutzt es wenig, dass der übrige Haushalt ab 2007 sogar Überschüsse erwirtschaftet. Die Zinsen fressen alles auf. Ist es die Folge leichtsinnigen Umgangs mit dem knappen Geld noch bis zur Mitte der neunziger Jahre oder eine unvermeidliche Folge der Teilung Berlins und brutal gekürzter Berlinhilfen nach dem Mauerfall? Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. za

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